In 7h:25min auf den Mont Blanc: Interview mit Hillary Geraldi
bergundsteigen: Ein Jahr ist es her, dass du in Rekordzeit auf den Mont Blanc gerannt bist. Wie blickst du heute auf dieses Projekt?
Hillary Geraldi: Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, und ich kann sagen, dass ich immer noch glücklich bin. Damals dachte ich nicht, dass ich es in einer schnelleren Zeit schaffen könnte, weil ich auf einer längeren Route unterwegs war. Zumal es am Gipfel sehr windig war und der Abstieg wegen der Schneeverhältnisse an dem Tag länger gedauert hat, als erwartet. Insgesamt brauchte ich drei Jahre, um den Rekord zu wagen, weil 2021 und 2022 zu wenig Schnee auf den Gletschern lag. Erst vergangenes Jahr war es sicher genug, das Projekt anzugehen. Wenn du draußen in den Bergen unterwegs bist, merkst du die Folgen des Klimawandels hautnah.
Der bisherige Rekord (7:53:12 Stunden) wurde am 21. Juni 2018 von der Schwedin Emelie Forsberg auf dem Normalweg via Grand Mulets und über das Plateau aufgestellt. Warum hast du eine andere Route gewählt?
Im April 2023, also kurz vor meinem Projekt, habe ich noch auf der klassischen Route trainiert. An diesem Tag wurde ein deutsches Paar durch Eisschlag am Petit Plateau getötet. Wir sind uns vorher noch begegnet. Als ich am nächsten Tag davon erfuhr, hat mich das richtig aus der Bahn geworfen. Auch deswegen habe ich mich entschieden, für meinen FKT (Fastest Known Time) am Mont Blanc eine neue Referenzroute zu wählen, auf der man nicht so lange unterhalb der einsturzgefährdeten Seracs läuft. Damit wollte ich auch das künftige Risiko für die Bergrettung verringern, die bei Unfällen ausrücken und ihr eigenes Leben riskieren. Es gab schon länger Warnungen, diese Route nicht mehr zu gehen.
Welche Route hast du dann gewählt?
Genau wie Emelie Forsberg bin ich an der Kirche Saint Michel in Chamonix gestartet. Nach den Grands Mulets stieg ich dann vom Bossons-Gletscher über den steileren Nordgrat des Dome du Goûter auf und wechselte erst später auf die klassische Route über den Bosses-Grat zum Gipfel. Die Route ist viel technischer als der Normalweg. Ich musste hybride, festere Schuhe und halbautomatische Steigeisen tragen, hatte einen Gurt an, Ausrüstung für Spaltenbergung und ein Eisgerät dabei. Auf der klassischen Route hätten mir Trailschuhe und Spikes gereicht. Bei solchen Touren im Hochgebirge gibt es viele Faktoren, die man nicht kontrollieren kann. Durch den Klimawandel wird es immer schwieriger, vorherzusehen, wann die Bedingungen gut sind. Für mein Projekt habe ich mir zwei Monate freigehalten, um im richtigen Moment bereit zu sein.
Wie bist du zum Laufen gekommen?
Laufen mochte ich früher gar nicht. Vor 14 Jahren sind mein Mann und ich aus den USA ins Chamonix-Tal gezogen. Mein Fokus lag da noch auf Skifahren und Alpinklettern mit ihm. 2012 hatte ich einen Skiunfall im Gelände. Danach stellte sich mir die Frage, wie es mit dem Bergsport für mich weitergehen soll, wie ich mich wieder mit der Natur verbinden könnte. In der Zeit merkte ich, dass das Alpinklettern nie ganz meins war. Mein Mann ermunterte mich damals, mit dem Laufen zu beginnen. Am meisten hat mich das Skyrunning interessiert, also das Laufen in steilem, anspruchsvollem Gelände. Ich bin nicht gut darin, schnell zu laufen, kann mich aber effizient durch schwieriges Terrain bewegen. 2018 gewann ich gleich drei der schwierigsten Rennen in dieser Disziplin: Trofeo Kima (Italien), Tromso Skyrace (Norwegen) und Glencoe Skyline (Schottland).
Trailer: Always Alive
Was hat dich dazu bewogen, dich auch an FKTs, also einem Lauf in der Fastest Known Time auf einer bestimmten Route, zu probieren?
Während Covid fanden keine Rennen mehr statt und ich unternahm wieder mehr Bergtouren. Wir kletterten zum Beispiel den Innominata Grat am Mont Blanc, eine anspruchsvolle Route. Das hat mich wieder daran erinnert, wie gerne ich in hochalpinem Gelände unterwegs bin. Ich wollte das Bergsteigen mit dem Trailrunning verbinden und einen FKT ausprobieren. Davor hatte ich nie daran gedacht, so schnell wie möglich hohe Gipfel hinauf- und hinunterzulaufen.
Was sind die Herausforderungen bei solchen Speed-Begehungen?
Das „Alpirunning“, so nenne ich es, verbindet den Ausdauersport mit dem Alpinismus. Es reicht aber nicht aus, entweder nur im Laufen oder nur im Bergsteigen gut zu sein, sonst kann es schnell gefährlich werden. Ich hatte schon vor meiner Läuferinnenkarriere spezifisches Bergwissen. Als professionelle Athletin ist es mir sehr wichtig, mit einem guten Beispiel voranzugehen und das Thema Sicherheit zu kommunizieren. Immer wieder sehe ich Läuferinnen und Läufer, die 4000er-Gipfel bezwingen wollen. Ich finde das schwierig, weil nicht jeder und jede die entsprechende Erfahrung mitbringt.
Arbeitest du hauptsächlich als Profi-Athletin?
Ja, das Laufen ist mein Hauptjob, aber als Läuferin suche ich immer wieder nach Wegen, wie ich meinen Sport mit Umweltthemen verbinden kann. Für die Professional Trail Running Association, die sich für die Belange der Athletinnen und Athleten einsetzt, arbeite ich zum Beispiel als Beraterin in der Arbeitsgruppe zum Thema Umweltschutz. Das ist für mich auch mit dem Thema Zugänglichkeit der Berge verknüpft.
Wie genau meinst du das?
Wir, die schon immer in die Berge gehen, lieben sie, weil wir wissen, wie wertvoll sie sind. Aber es gibt sehr viele Menschen, die weniger privilegiert sind. Ihnen fehlt der Bezug zur Natur und der Sinn für Umweltschutz. Deswegen unterstütze ich auch Organisationen und Initiativen, die mehr Menschen mit Migrationshintergrund oder aus schwierigen Lebensverhältnissen in die Berge bringen.
Was genau ist der Ansatz?
Es gibt einerseits die, die schon immer in die Berge gehen und einen tiefen Bezug zur Natur haben. Und dann gibt es immer mehr “neue” Nutzer, von denen viele sagen, dass sie nicht die gleichen Regeln wie wir befolgen, also dass sie zum Beispiel laute Musik im Klettergebiet hören oder nicht zur Seite gehen, wenn jemand den Berg hochkommt. Das verursacht viele Spannungen. Wir sollten Wege finden, die Neuen mit unseren Werten vertraut zu machen, damit auch sie Teil unserer Community werden können. Verantwortung sehe ich auch bei den Brands sowie uns Athletinnen und Athleten: Wir sollten uns der Bilder bewusst sein, die wir von unserem Sport zeigen, wenn wir in kurzen Hosen über Gletscher laufen – und die Menschen darüber aufklären, wie viel Wissen, Erfahrung und Risikoabwägung dahintersteckt.
Was hast du dieses Jahr noch geplant?
Nachdem ich ein Jahr nicht unterwegs gewesen bin, werde ich diesen Sommer nach Südamerika reisen. In Peru treffe ich mich zuerst mit der mexikanischen Läuferin Karina Carsolio. Wir wollen an einem Sky-Running-Rennen teilnehmen. Dann geht es weiter nach Bolivien, um dort in den Bergen laufen zu gehen. Vielleicht schaffen wir auch ein paar Sechstausender.