Schmelzumwandlung: Was passiert mit den Schneekristallen im Frühjahr?
Der Schmelzumwandlungsprozess
Durch die Sonneneinstrahlung sowie warme Temperaturen (vorrangig im Frühjahr), wird die Schneeoberfläche erwärmt und erreicht dadurch Temperaturen im Schmelzbereich. Auch ein Wassereintrag durch Regen kann die Schmelzumwandlung begünstigen. Anfangs findet der Schmelzprozess nur an der Schneeoberfläche statt – hierbei spricht man von einem geringen Wassereintrag in die Schneedecke.
Durch den Schmelzprozess werden die Kristalle immer runder. Dabei ballen sich die Kristalle häufig zusammen und es entstehen sogenannte Cluster. Diese Cluster können in kürzester Zeit mehrere Millimeter groß werden.
Durch den geringen Wassereintrag, der sich zu Beginn nur in den Porenwinkeln (Einbuchtungen und Kontaktpunkte der Kristalle) festsetzt, steigen die Kapillarkräfte zwischen den Kristallen an. Das führt zu einer Verfestigung innerhalb der Schneeschicht. Diese tritt aber nur ein, solange die Feuchtigkeit als auch der Korndurchmesser gering sind. Es entsteht Pappschnee, der beim Skifahren grandios bremst, sich aber super zum Schneemann bauen eignet.
Bei fortschreitender Durchfeuchtung füllen sich die Porenwinkel zunehmend mit Schmelzwasser, solange bis es nicht mehr gehalten werden kann. Dann rinnt es immer tiefer Richtung Boden in die Schneedecke. Durch das viele Schmelzwasser werden die Schneekristalle von einer Schicht aus Wasser überzogen, was die Kristalle untereinander wieder löst. Die Bindung der Kristalle geht verloren, was wiederrum zu einem großen Festigkeitsverlust der Schneedecke führt. Bekannt auch als Faulschnee.
Der Skifahrerfirn
Vor allem im Frühjahr können sich Veränderungen der Wassermenge sehr rasch abspielen. Kleine Unterschiede der Wassermenge sind entscheidend für die Frage, ob der nasse Schnee noch stabil ist oder nicht. Man sagt, bis ca. drei Volumenprozent Flüssigwasser bleibt die Schneedecke stabil. Steigt dieser Wert, ist ein rascher Festigkeitsverlust die Folge.
In klaren Nächten gefriert die feucht/nasse Schneeoberfläche wieder, wodurch ein Schmelzharschdeckel entsteht und die Festigkeit der Schneedecke nimmt wieder zu. Durch mehrmaligem Gefrieren und wieder Schmelzen, werden die Schmelzformen (Körner) immer größer und es entsteht „Skifahrerfirn“. Nennen wir ihn mal so, denn „Firn“ ist eigentlich nicht korrekt.
Die absolute Endstufe der Schmelzumwandlung ist sommerfester Schnee. Diesen findet man vorrangig auf Gletschern. Erkennbar ist dieser durch die buckelige und gewellte Oberfläche mit großen Schmelzkörnern. Der Unterschied zu Sulzschnee (Faulschnee) ist, dass sommerfester Schnee nur noch wenig Schmelzwasser enthält und sich wieder verfestigt, wodurch es auch kein Einbrechen mehr gibt.
Wie wirkt sich die Schmelzumwandlung auf die Lawinensituation und das Skifahren aus?
Findet ein Wassereintrag in die Schneedecke nur an der Schneeoberfläche statt, hat das meist geringe Auswirkungen auf die Lawinengefahr. Lockerschneelawinen nehmen hier allerdings gerne zu, und durch darauffolgende nächtliche Abstrahlung entsteht sehr oft Bruchharsch – der Alptraum vieler Skifahrer!
Unter der feuchten Schneeoberfläche befindet sich meist noch ein sehr kompakter Schneestock aus rund- oder kantig abgerundeten Körnern. Dort besteht noch keine Gefahr durch Einbrechen in die Schneedecke aufgrund von Faulschnee oder eines einhergehenden Festigkeitsverlustes. Dafür kann man beim Profilgraben sehr oft die schönen gefrorenen Schmelzkanäle bewundern, die in der Schneedecke durch das Schmelzwasser entstehen. Die oberflächige Durchfeuchtung trifft man auch des Öfteren in den Wintermonaten an, vor allem in steilen, sonnenexponierten Hängen.
Durch zunehmende Warmwetter und einer damit einhergehenden, fortschreitender Durchfeuchtung, wird ein immer noch größerer Teil der Schneedecke mit Schmelzwasser übersehen, bis schließlich die ganze Schneedecke durchnässt ist, und sie sich in Schmelzformen umgewandelt hat. Spätestens hier finden wir die klassische Frühjahressituation vor! Früh morgens zur Skitour aufbrechen und früh wieder Zuhause sein, ist angesagt. Denn ein Anstieg der Lawinengefahr kann sehr schnell und rapide passieren.
Der Harschdeckel
Die nächtliche Abstrahlung lässt nur den Schnee an der Oberfläche gefrieren. Wie dick der Schmelzharschdeckel wird, variiert je nach Temperatur und Abstrahlung und bestimmt, wie lange man im Frühjahr unterwegs sein kann.
Unterhalb des entstandenen Harschdeckels befindet sich Sulzschnee (Faulschnee), dieser besteht aus großen Schmelzkörnern. Der entstandene Deckel ist in der Früh pickelhart, oft griffig aber auch mal glatt und rutschig. Durch die Sonneneinstrahlung und die warme Umgebungsluft wird der Harschdeckel oberflächlich aufgeweicht. Wer hier die richtige Zeit erwischt, kann perfekten Skifahrerfirn genießen.
Je länger die Wärme einwirkt, desto tiefer wird die Schicht durchfeuchtet, bis sie schlussendlich so aufgeweicht ist, dass man durchbricht. Hier kann es schon mal vorkommen, dass man beim Ausziehen der Ski bis zur Brust im Schnee versinkt. Spätestens dann sollte einem bewusst sein, dass man zulange unterwegs war.
Sobald man durch den Deckel durchbricht, steigt die Lawinengefahr rapide an.
Es kann dennoch vorkommen, dass ein Harschdeckel so dick wird (dabei spielt natürlich die Luftfeuchte und Temperatur tagsüber auch eine Rolle), dass ein Durchbrechen ganztags auch in Südhängen nicht möglich ist. Oder die für Skitourengeher definitiv ungünstige Variante: Es bildet sich aufgrund einer bedeckten Nacht gar kein Harschdeckel. Dann verzichtet man besser auf eine Skitour.
Die erste nennenswerte Durchfeuchtung der Schneedecke im Frühjahr, durch Regen oder Erwärmung, ist mit Vorsicht zu genießen, denn tieferliegende Schwachschichten können durch den Wassereintrag erneut geschwächt werden, wodurch Lawinen auch größeres Ausmaß erreichen können.
Artikel zuerst veröffentlicht auf PowderGuide.com