„Hall of Fame“ – Die anspruchsvollste alpine Mixed-Route der Welt?
Seit Jahren beobachte ich „Hall of Fame“. Immer und immer wieder. Kann diese Route jemals frei geklettert werden? Und wie? Ist das ein Projekt für mich? Könnte ich das schaffen? Bei welchen äusseren Bedingungen ist eine Begehung überhaupt vorstellbar? Was muss ich mitbringen? Mir ist klar: „Hall of Fame“ verlangt und bietet alles. Psychisch, physisch, technisch.
„Hall of Fame“ ist seit Jahren in meinem Projekt-Kalender eingetragen. Noch nie hat alles gepasst. Höchst selten erlauben es die Bedingungen im Winter, diese herausfordernde Route zu klettern. Entweder steht oben kein Eiszapfen oder es hat im unteren Bereich zu wenig Eis. Auch im Winter 2023 waren die Verhältnisse nie wirklich gut. Die Temperaturen sind zu warm, es hat kein Eis. Kaum vorstellbar, dass eine Begehung klappen könnte. Doch nach ein paar sehr kalten Nächten ragt am 29. Januar der Eiszapfen endlich aus dem Felsen. Ich weiss: jetzt tut sich eine Möglichkeit auf für mein Projekt!
Ich spüre Nervosität. Bleibt das Zeitfenster mit kalten Temperaturen lange genug offen? In den ersten Februar-Tagen organisiere ich alles für den Start des Projekts. Ron Koller, der Erschaffer der Route, und Diego Schläppi, Bergsteiger, Fotograf und Filmer, sind mit von der Partie. Ron ist seit Jahren mein Wegbegleiter, Trainer, Mentor und ein sehr guter Freund. Ihn beim Durchstieg von „Hall of Fame“ dabei zu haben, macht mich sehr glücklich.
Mir ist klar: „Hall of Fame“ verlangt und bietet alles. Psychisch, physisch, technisch.
Yannick Glatthard
Hoch motiviert und voller Energie steigen wir in die Route ein. Das Dach im Schwierigkeitsgrad M13 gelingt im 2. Versuch. Die folgende Seillänge M10 ist streng, ich finde die Hooks nicht, muss mehrmals zurückklettern, sehe die Lösung nicht auf Anhieb. Dann fällt mein Eisgerät kurz vor dem Stand runter. Abbruch der Übung. Der Ärger ist gross, ich habe zu viel Energie verbraucht. Trotzdem ist das Gefühl für die Route da, eine effizientere Lösung für die 3. Seillänge habe ich gefunden. Ich weiss jetzt genau, um was es geht.
Bis zum Herzstück
Zurück im Talboden folgt der Wettercheck für die nächsten Tage. Temperaturschwankungen machen mir Sorge, denn ist der Eiszapfen zu gross und zu schwer, fällt er runter. Ist er zu klein, kann man ihn kaum klettern. Das Dilemma: Unten brauche ich dickeres Eis, oben darf der Zapfen nicht grösser werden.
Zweiter Versuch, eine knappe Woche später, gut vorbereitet, optimal erholt. Ich bin bereit für „Hall of Fame“. Die erste Seillänge klappt schnell, das 30 Meter Dach M13 klettere ich in etwa 20 Minuten, M10 duchklettere ich bis zum Stand problemlos. Heute ist der Tag der Tage. Bald liegen die schwierigen Passagen hinter mir. Vor mir noch M8 und M6 Seillängen, eigentlich gut machbar.
Raus auf den Eiszapfen nach dem dritten Stand, WI5, technisch normalerweise nicht allzu schwierig. Knappe 2 bis 10 cm Eisdicke machen die Absicherung enorm schwierig. Höchste Konzentration ist gefragt. Am Eisvorhang erreiche ich das Eis mit meinen Pickeln kaum, eine Mixed-Variante gleich daneben ist wegen des brüchigen Fels nicht kletterbar. Was tun? Die Lösung: ich nutze die Schultern von Ron für einen Schulterstand mit Steigeisen. Aus dieser akrobatischen Position erreiche ich schliesslich den Eisvorhang. Die Übung kostet Nerven und Kraft. 100 m weiter durch steilen Schnee zum letzten Aufschwung, dann eine M8-Seillänge mit brüchigem Fels und schlechten Schlaghaken. Ich entscheide mich für die 6a+ Kletterei 3 m daneben, ohne Steigeisen und Pickel, alles selbst abgesichert.
Jetzt kommt das Herzstück von „Hall of Fame“. Der riesige Eiszapfen ragt aus einem Felsloch 30 Meter senkrecht herunter, 15 Meter freihängend. Gigantisch. Ich weiss: hier zu stehen ist der Lohn für meinen grossen Kraftakt. Ist das die anspruchsvollste Mix-Route der Welt?
So vielseitig, so grosse technische Schwierigkeiten und dazu dieser einzigartige Eiszapfen – wo auf der Welt findet man etwas Vergleichbares?
Ich komme gut an den Zapfen ran, trotz viel Wasser, treffe auf röhriges Eis, es gibt viel Eis abzuschlagen. Der Zapfen ist technisch schwierig, aber gut kletterbar. Das Erlebnis ist gewaltig. Die Kulisse aus Eis und Wasser unbeschreiblich. Ich bin müde, mir ist kalt, aber Freude, pures Glück, Dankbarkeit überwiegen. Und die Gewissheit wächst in mir: heute bringen wir die „Hall of Fame“ nach Hause.
Der Rest ist schnell erzählt: zwei unangenehme Traversen M7 über abschüssige Tritte. Es muss zügig gehen, die Dunkelheit sitzt uns im Nacken. Um 18.00 Uhr steigen wir aus der Route aus.
Alles hat (fast) reibungslos funktioniert. Der Erfolg ist nur im Team möglich. Ein grosses Danke an Ron Koller und Diego Schläppi!