Die 7 häufigsten Kletterverletzungen
So gut wie alle motivierten Kletterinnen und Kletterer kennen die typischen Beschwerden. Dabei lassen sich viele Fehlhaltungen und Überlastungserscheinungen mit gezielten Übungen oder Training der Gegenspielermuskulatur vorbeugen. In der bergundsteigen #104 widmet sich der Physiotherapeut sowie Berg- und Schiführer Robert Schellander diesen kleineren Blessuren und Wehwehchen.
1. Richtig Sichern: Spannungen in der Wirbelsäule
Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule bleiben die Ausnahme. Viele Kletterinnen und Kletterer klagen jedoch über Schmerzen im Nackenbereich. Kaum verwunderlich – denn wer viel klettert, wird auch viel sichern. So sind Beschwerden im Nacken meist auf das Nach-hinten-Legen des Kopfes, die Nackenextension, zurückzuführen. Die schlechte Körperhaltung beim Sichern führt dabei zu starken Verspannungen der Halswirbelsäule. Verstärkt werden die Nackenprobleme oft durch Fehlhaltungen im Alltag, z.B. beim Arbeiten am Schreibtisch.
Prävention: Neben der Verwendung einer Sicherungsbrille sind Kräftigungsübungen für die Nackenmuskulatur genauso wie Dehnübungen nach dem Klettern wichtig. Insbesondere sollten die Scaleni-Halsmuskeln, die oft für Verspannungen verantwortlich sind, aufgedehnt werden. Zum Beispiel in einem Schneidersitz sitzend, die Sitzbeinhöcker am Boden und einen Arm gestreckt über den Kopf ziehen. Der andere Arm zieht nach unten, der Blick folgt dem nach unten ziehendem Arm.
2. Climbers Back: Die schlechte Haltung
Wer sich beim Klettern umschaut, sieht leider nicht nur trainierte Oberkörper, sondern vor allem eine typische (schlechte) Körperhaltung: der Rücken ist gekrümmt, die Arme nach innen gedreht, Kopf und Schulten werden nach vorne gezogen.
Durch den „Doppel S“-förmigen Aufbau der Wirbelsäule entstehen sogenannte „natürliche“ Lordosen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LSW) und der Halswirbelsäule (HWS). Diese „guten“ Krümmungen der Wirbelsäule sind für eine gesunde Körperhaltung, die Stoßdämpfung und der Unterstützung innerer Organe wichtig. Im Brustwirbelsäulenbereich entsteht dagegen eine sogenannte Kyphose, die bei Kletterern oftmals stärker ausgeprägt ist und eine starke Krümmung der Wirbelsäule verursachen kann. Diese Krümmung wird als „Rundrücken“ oder „Climbers Back“ bezeichnet
Prävention: Hier sind Haltungsübungen und Dehn- bzw. auch Kräftigungsübungen gut, welche vor allem die weniger beanspruchte Rückenseite trainieren und lockern. Diese meist zu wenig trainierte Rückenmuskulatur hat Auswirkungen auf die Stabilität der Lendenwirbelsäule und auf Schmerzentwicklungen. Ausgleichsportarten wie Schwimmen, Radfahren oder Laufen sind ideal, um die Wirbelsäule im vorderen und hinteren Bereich zu trainieren und dem muskulären Ungleichgewicht entgegenzuwirken.
Ebenso wichtig sind gezielte Übungen der Gegenspieler, zum Beispiel die Außenrotation mit einem Theraband oder Übungen mit einem Schlingentrainer, wodurch Schulter und Rücken – insbesondere der untere und obere Kapuzenmuskel – trainiert werden können.
3. Harter Aufprall und schädliche Ägypter
Die häufigsten Beschwerden liegen hier im Kniegelenk und im Sprunggelenk. Im Sprunggelenk passieren oft Verletzungen, die mit dem Sturz ins Seil oder mit dem Abspringen beim Bouldern zusammenhängen. Beim Stürzen ist man bestrebt, den Sturz mit den Beinen an der Wand abzufedern. Wird der Sturz zu „hart“ gehalten, entsteht mehr Kraft und es kommt manchmal zu Weberfrakturen (siehe bergundsteigen #103) oder Knöchelfrakturen, welche sich verschlimmern, wenn eine Rotation mit im Spiel ist. Beim Bouldern passieren solche Verletzungen häufig beim unkontrollierten Absprung und daraus resultierender unsanfter Landung.
Im Kniegelenk sind des Öfteren die Menisken betroffen. Vor allem beim Ägypter und beim Eindrehen des Knies kann es zu einer Scherbelastung kommen, welche den inneren (medialen) oder den äußeren (lateralen) Meniskus (siehe bergundsteigen #102) betrifft.
Prävention: Einrisse und Einblutungen, die Folge des Ägypterns oder Eindrehens sind, können nur dann vermieden werden, wenn auch die Beine dementsprechend gut aufgewärmt sind. Somit wären Kapselanteile und weitere Strukturen im Knie besser auf Belastungen eingestellt und sind weniger verletzungsanfällig.
4. Überlastung durch das Hooken
Eine weitere häufige Verletzung entsteht vor allem beim Hooken mit der Ferse. Dabei muss die ischiocrurale Muskulatur, also die hintere Oberschenkelmuskulatur, kräftig anspannen, damit sie den Unterschenkel – respektive die Ferse – an den Tritt pressen kann. Wenn dann ein Schmerz einschießt, kann das eine Überlastung der rückwärtigen Muskulatur sein. Der Schmerz am unteren, hinteren Oberschenkel kann daher kommen, dass die Wadenmuskulatur ihren Ursprung am Oberschenkel hat, oder es betrifft tatsächlich die hintere Oberschenkelmuskulatur. Von einer Überreizung bis hin zum Muskelfaserriss kann alles vorkommen.
Prävention: Es ist wichtig, die ischiocrurale Muskulatur nach dem Klettern auch immer wieder zu dehnen, um – falls diese Muskulatur bereits verkürzt ist – diese etwas zu entlasten.
Übrigens sind auch die selbstgezüchteten Dermatophyten – umgangssprachlich auch Fußpilz genannt wird – bei Kletterern häufig zu sehen. Hier wäre es eine gute Idee, den Kletterschuh auch einmal zu desinfizieren.
Robert Schellander
5. Weite Züge, dynamische Bewegungen: Schulterverletzungen
Mit zwanzig Prozent sind Schulterverletzungen die häufigsten Leiden eines Kletterers. Durch die anatomische Bauweise ist das Schultergelenk sehr gut beweglich, aber „nur“ mit einem Muskel- und Bandapparat gesichert. Ein großer Gelenkskopf in einer kleinen Pfanne im Schultergelenk ermöglicht die Beweglichkeit, die gerade im Klettersport wichtig ist. Dafür ist aber gerade auch deswegen die Schulter anfälliger für diverse Verletzungen. Am meisten betroffen sind dabei die Muskeln der Rotatorenmanschette sowie die Sehne des Bizeps.
Zerrungen, Überlastungen, Teileinrisse und komplette Abrisse – alles ist möglich und entsteht vor allem dann, wenn die Muskulatur bereits müde oder noch ungenügend aufgewärmt ist. Explizite Kletterbewegungen wären hier am ehesten weite Züge bzw. leicht dynamisch anvisierte Griffe, die dann kurz gehalten werden, aber nicht mehr fixiert werden können. Hierbei übersteigt die Belastung die Muskelkraft und es kann zu Verletzungen kommen.
- Beim Riss der Supraspinatussehne ist der Arm dabei gestreckt und über Kopf nach außen rotiert, also in jener Bewegung, die der Muskel eigentlich machen kann und soll. Bei sportlich aktiven Menschen wird Supraspinatus und Infraspinatussehne operativ wieder fixiert und versorgt. Zwei bis drei Monate Kletterabstinenz sind die Folge.
- Die lange Bizepssehne des zweiköpfigen M. Biceps brachi kann auch infolge Überlastung und/oder bereits eingesetzter Verkalkung im Alter reißen. Bei Kletterbewegungen mit Untergriffen im Überhang, bei der die Handfläche in Richtung Gesicht oder Körper gezogen wird, entsteht zusätzlich zur eigentlichen Funktion des Bizeps (Beugung des Armes) noch ein kräftiger Drehmoment durch das Suppinieren – also der Unterarm dreht sich durch die Bizepsaktivität nach außen – und dann kann es dabei zum Riss der Sehne kommen. Auch hier wird operativ eingegriffen und die Sehne bei sportlich Aktiven wieder fixiert. Zusätzliche Brisanz bekommt die Bizepssehne bzw. deren langer Anteil (Caput longum), weil sie im Labrum der Schulter fixiert ist und es bei einer Bizepssehnenproblematik häufig auch zur Verletzung des Labrums kommen kann.
6. Was Tennisspieler, Golfer und Kletterer gemeinsam haben
Tennisellbogen (Epicondylitis lateralis) und Golferellbogen (Epicondylitis medialis) sind mittlerweile vielen ein Begriff. Diagnostiziert wurden sie häufig bei den beiden Sportarten, die dann namensgebend wurden. Die Ursache ist eine einseitige Beanspruchung, wie sie auch beim Klettern häufiger vorkommt.
- Beim Tennisellbogen sind die Ursprungssehnen der Extensoren, also der Strecker für das Handgelenk und die Finger betroffen, wobei der Schmerz am seitlichen Ellbogen und leicht darüber am Oberarm lokalisiert wird.
- Beim Golferellbogen betrifft es den inneren/medialen Ellbogen und somit die Ursprünge der Beugesehnen für Hand und Finger. Oft ist es einfach nur eine Überlastung der Strukturen, es können aber auch die falsche Technik oder auch gewisse Kletterbewegungen ursächlich sein.
Das Hauptproblem bei diesen Verletzungen ist, dass diese oft aus einem Akutstadium in ein chronisches Stadium wechseln und dann ist die Behandlung sehr langwierig und kann sich über Monate ziehen.
Behandlung & Prävention: Neben der Dehnung der Unterarmstrecker hilft es, den Pronator-Teres-Muskel zu kräftigen. Zum Beispiel mit einem Hammer oder einer Kurzhantel mit einseitigem Gewicht auf einen Stuhl oder eine Couch setzen, der Unterarm liegt auf dem Oberschenkel mit der Handfläche nach oben auf. Nun mit der Hand den Hammer/das Gewicht umfassen und die Hand langsam nach innen drehen, um den Hammer in die senkrechte Position zu führen. Kurz halten und nun den Hammer wieder langsam in die Ausgangsposition zurücksenken.
Hinweis: Leidet man bereits an den Beschwerden, ist es ratsam, nur die Absenkung durchzuführen: den Hammer von der Senkrechten langsam in die Horizontale führen, anschliessend das Gewicht mit der freien Hand zurück nach oben bringen.
Hilfreiche Behandlungsmethoden und Tipps zum Muskelaufbau erläutert auch Dr. Julian Sanders. Hilfreich sind auch Videos mit Übungen:
7. Die zweithäufigsten Verletzungen: Finger und Ringband
Ringbandverletzungen sind nach Schulterverletzungen mit ca. 15 Prozent die zweithäufigsten Verletzungen beim Klettern. Als Griffe sind meist Leisten und Fingerlöcher die Ursache und vor allem dann, wenn man beim Halten des Griffes die Finger aufstellt. Hängend halten wäre schon Prävention. Ob dynamisch angesprungen und gerade noch gehalten oder statisch die Leiste ziehen bis es „knallt“, ist egal. Ringbänder sind zwar stark, halten aber nicht jeder Belastung stand.
Betroffen sind am häufigsten die Ringbänder A3 und A4 im Bereich des Ring- und Mittelfingers. Die eigentliche Aufgabe dieser Bänder ist die Fixierung der Beugesehne am Finger. Reißen die ringförmig angeordneten Bänder, so hängt die Sehne durch und mit der Schwellung entsteht nicht nur der Eindruck des durchhängenden Sehnenanteiles. Immer durch ein Knacken oder Knallen hörbar, wird der Riss häufig operiert und mitunter auch durch Sehnenanteile der Handfläche wieder rekonstruiert.
Behandlung: Längere Pausen sind zwingend nötig. Bei Teileinrissen und Zerrungen kann Ruhe und Therapie nach sechs bis acht Wochen wieder das Klettern ermöglichen.
Ob dynamisch angesprungen und gerade noch gehalten oder statisch die Leiste ziehen bis es „knallt“, ist egal.
Robert Schellander
- Fingerkapselverletzungen: Weiters treten häufig Verletzungen an den Fingergelenkskapseln auf. Vor allem, wenn man in Fingerlöchern hängen bleibt und die Finger überstreckt werden, kann auch die Gelenkskaspel der betroffenen Fingergelenke einreißen oder gezerrt sein. Auffällige Verdickungen an den Gelenkskapseln (siehe Bild oben), welche nicht durch Verletzungen entstanden sind, sind eine natürliche Adaption bei vielen Kletterern. Höhere Belastung veranlasst den Körper, vor allem die Sehnen und Kapselapparate zu verstärken und deshalb sind bei „Vielkletterern“ die Finger generell etwas dicker als üblich.
- Auch Sehnenscheidenentzündungen treten bei Überlastung gehäuft bei Kletterern auf und kennzeichnen sich als massive, druckempfindliche Schwellung im betroffenen Sehnenbereich. Eine Entzündungsreaktion entsteht und durch Ruhe und Kühlen sind solche Sehnenscheidenentzündungen gut behandelbar und man kann nach kurzer Zeit wieder dem Klettersport nachgehen.
- Arthrose spielt im Finger-/Handbereich eine zunehmend größere Rolle im Klettersport. Studien über einen längeren Zeitraum fehlen bis dato, aber die zahlreichen Kletterer mit ausgeprägten Fingerarthrosen mit zunehmendem Alter zeigen einen deutlichen Trend auf. Gerade im Kinder- und Jugendtraining sollte daher großes Augen- merk auf die Trainingsgestaltung gelegt werden. Jugendliche sollten im Krafttraining nicht mit Zusatzgewichten arbeiten, um Spätfolgen wie Arthrose zu vermeiden.
Prävention und Behandlung: Bei Ringband- und Kapselverletzungen hat sich Tapen bewährt. Entweder wird zur Entlastung des einen Fingers ein zweiter, benachbarter mitgetapet (Buddysystem) oder über Kreuztapes das „angeschlagene“ Ringband unterstützt. Die auftretenden Kräfte bei Ringbändern sind allerdings höher als die Reißkraft des Tapes. Somit hat das Tape häufig nur eine mentale Komponente. Wenn keine Verletzungen vorhanden sind, ist es auch nicht notwendig, die Finger zu tapen.
Abschürfungen und Schnittverletzungen sollten nicht unbedingt mit Superkleber behandelt werden, da durch offene Cuts immer Infektionsgefahr besteht. Besser: säubern und steril abkleben und abheilen lassen.
Robert Schellander
Und nun?
Am Ende dieser Ausführungen bleibe ich dabei, dass Klettern generell gesund ist! Vorbeugend sind immer wieder Aufwärmübungen und Dehnungen zu empfehlen und am wichtigsten erscheinen mir die Pausen zwischen den Klettereinheiten.
Der Körper benötigt schlicht und einfach Regenerationszeit, um mit seinen kleinen Wehwehchen, welche durch das Klettern entstehen können, fertig zu werden.
Tipp: Gezielte Übungen, hilfreiche Tipps und gut aufbereitete Hintergrundinformationen gibt es auch im Buch „Yoga für Kletterer und Bergsportler“ von Petra Zink.