14 x 8.000 in 3 Monaten: Zwischen Lobeshymne und dem Untergang des Alpinismus
Am 27. Juli, gegen 10:45 Uhr, erreichten die 37-jährige Kristin Harila und ihr Kletterpartner Tenjin Lama Sherpa den letzten Gipfel ihres Achttausender-Projekts: den 8.611 Meter hohen K2 in Pakistan, den zweithöchsten Berg der Welt. So erklommen die norwegische Bergsteigerin und Tenjin, der als Guide an ihrer Seite war, die 14 höchsten Berge der Welt in einem Rekordtempo von drei Monaten und einem Tag. Das Projekt stehe für die „unbeugsame Entschlossenheit, den Teamgeist und die Hartnäckigkeit“ Harilas und ihres Teams, so heißt es in der offiziellen Pressemitteilung.
Neben diesem neuen Weltrekord gibt es eine ganze Reihe weiterer, heißt es in der Pressemitteilung: Kristin Harila ist die erste Norwegerin, die erste Skandinavierin, die alle 14 Gipfel bestiegen hat. Die schnellste Person insgesamt, welche die fünf höchsten Berge der Welt bestiegen hat (Everest, K2, Kanchenjunga, Lhotse, Makalu in 69 Tagen). Zudem ist es die bisher schnellste Zeit einer Person, die fünf höchsten Berge zweimal zu besteigen (439 Tage). Darüber hinaus ist Harila die schnellste Frau, die auf dem Mount Everest und dem Lhotse stand – sowie auf allen 14 Achttausendern.
Ein neuer Maßstab in der Geschichte des Bergsteigens?
Trotz der physischen Leistung geriet das Projekt zunehmend in die Kritik. Schon während Harilas erstem Versuch, 2022 den vermeintlichen Rekord von Nirmal Purjas zu brechen (auf zwei Bergen stand er damals nur auf den Vorgipfeln – Dhaulagiri und Manaslu), berichtete outsideonline.com über die Norwegerin und die fragwürdige Zusammenarbeit zwischen Sherpas und Kunden, nachdem Pasdawa Sherpa und Dawa Ongju Sherpa aus dem Projekt ausstiegen waren.
Der erste Versuch scheiterte schließlich an fehlenden Permits für Cho Oyu und Shisha Pangma in Tibet. In diesem Jahr versuchte es die Norwegerin erneut – zunächst mit dem Ziel, die Besteigungen ohne zusätzlichen Flaschensauerstoff zu schaffen. Das blieb nur ein Wunsch, schon beim ersten Berg merkte sie, dass das in Verbindung mit mehreren Speedbesteigungen nicht funktioniert. Daraufhin kippte der Ton in der Berichterstattung erneut. „Das, was Harila macht, ist Ankündigungsalpinismus vom Feinsten“, erläutert Robert Bösch Anfang Juni auf bergundsteigen. Unpassend sei außerdem der Vergleich mit Profi-Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner, der nach Bösch von einigen vorgenommen wurde: „Die zwei Frauen unterscheidet nicht nur die Haarfarbe, sondern ihr Können am Berg, ihre Leistungsbilanz und ihr Selbstdarstellungsbedürfnis.“
Den ganzen Artikel von Robert Bösch „8.000er-Alpintourismus, Harila und die fehlende Stil-Diskussion“ gibt es hier zum Nachlesen.
Angeheizt wurde Kritik erneut durch ihren Aufstieg am Manaslu. Mit ihr standen am 10. Juni sechs Nepalesen auf dem Gipfel, die zuvor eigens für Harilas Aufstieg Fixseile verlegt hatten, da es im Frühjahr noch keine Expeditionen gegeben hatte. Kurz darauf prangerte Mingma G (Eigentümer von Imagine Nepal) an, dass Harilas Team Hubschrauber benutzt haben soll, um zu höher gelegenen Lagern zu gelangen und die Fixseile von oben nach unten zu verlegen, was weniger Zeit beansprucht.
26 Achttausender in weniger als zwei Jahren
In Nepal und Pakistan nutzte Harila die Logistik von Seven Summit Treks, um mit dem Helikopter schnell von Basislager zu Basislager zu fliegen. An ihrer Seite war stets Tenjin Lama Sherpa, mit dem sie sich den Rekord teilt, und je nach Berg und Strategie noch ein oder mehrere andere Guides. Zählt man dieses Jahr und ihren letzten Versuch im Jahr 2022 dazu, hat Harila in weniger als zwei Jahren 26 Achttausender bestiegen. Ohne den massiven Einsatz von Ressourcen wäre dieser Rekord nicht möglich gewesen. Eine Tatsache, mit der sie allerdings offen umgeht.
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen mich zu Fall bringen wollen. Aber das werde ich nicht zulassen! Ich werde weiter aufsteigen und mich über das freuen, was ich erreicht habe. Ich hoffe, das wird auch andere inspirieren.“ Vor allem Frauen.
schreibt die Norwegerin in einem Instagram-Post.
Auf alpin.de meldeten sich auch Personen aus der Szene zu Wort: Für Gerlinde Kaltenbrunner habe das nichts mehr mit der ursprünglichen Form des Höhenbergsteigens zu tun habe, ansonsten wolle sie sich aber nicht weiter dazu äußern. Ralf Dujmovits kritisierte Harilas Speedbesteigungen ohne klare Regeln scharf und bedauerte, dass Kristin Harila das Peak-Bagging betreibe, also möglichst viele Achttausender in einer Saison zu besteigen.
Billi Bierling, Chronistin der Expeditionsberge in Nepal, äußerte sich gemäßigter: Harilas Stil habe nichts mehr mit der Ethik des klassisch-alpinistischen Stils zu tun, „aber es passt in unsere Zeit“. Sie stellt zur Debatte, warum Nirmal Purja damals für seinen Erfolg so gefeiert wurde, aber Harila im Vergleich „kritisiert und heruntergemacht“ werde. „Weil sie eine Frau ist? Weil sie nichts Neues macht?“ Bierling stand selbst auf acht Achttausendern, am Everest 2009 griff sie auf Flaschensauerstoff und Unterstützung von Sherpa-Guides zurück, trotzdem werde sie noch heute dafür gelobt – warum Harila aber kritisiert?
Das bergundsteigen Interview mit Billi Bierling: „Billi Bierling und die 8.000er-Gipfel“
Die Journalistin Angela Benavides schreibt auf explorersweb.com: „Wenn wir ehrlich über den Bergsport reden wollen, müssen wir aufhören, so zu tun, als wäre es immer noch 1972. Wir müssen leider über Geld reden, über soziale Medienpräsenz, Trends und natürlich über News sprechen. Wir sind keine Jurymitglieder für den Piolet d’Or“, folgert Benavides.
Worin bei all der Kritik die eigentliche Krux liegt: Kristin Harila hat den neuen Stil nicht erfunden, sondern mit ihrem Projekt nur auf die Spitze getrieben – wohlgemerkt einen Trend, der von den Nepalesen selbst im eigenen Land und an den Achttausendern in Pakistan und, soweit geduldet, auch in China, vorangetrieben wird. Spätestens mit Nirmal Purjas Projekt „14Peaks“ ist das Peak-Bagging ein wichtiger Bestandteil im Portfolio der nepalesischen Anbieter. Und im Grunde nur eine Fortsetzung der Kommerzialisierung an den Achttausendern, die schon vor mehr als 20 Jahren begann, als noch westliche Anbieter das Geschehen dominierten.