bergundsteigen #128 cover
Magazin Abo
Avalanche goes social. Beitrag von Riki Daurer
28. Mrz 2017 - 16 min Lesezeit

Avalanche goes social

Videos vom „Mitschwimmen“ in der Lawinen gehen viral durchs Netz und erreichen unglaubliche Zahlen: der Clip von Tom Oye, Anfang Jänner 2017 auf Facebook gepostet (Abb. 1), hatte eine Reichweite von knapp 10 Millionen und wird fast 70.000 Mal geteilt. Ebenso hoch ist die Anzahl der Kommentare zu solchen Posts - bei dem von Tom 36.000. Was passiert hier? Und was bedeutet das für unsere sozial-mediale Verantwortung als Bergsteiger? Als Grundlage für diesen Beitrag wurde von Riki Daurer beispielhaft die Kommunikation über Facebook in diesem Winter beobachtet - die sich im Gegensatz zum Winter 2015/16 von Lawinen-Shitstorms hin zu salonfähigen Lawinenpostings geändert hat.

Wie Lawinenabgänge salonreif wurden

Was passiert hier? Und was bedeutet das für unsere sozial-mediale Verantwortung als Bergsteiger? 

Abb.1: Videos vom Mitschwimmen in der Lawine gehören im Winter 2016/17 dazu und generieren Rekord-Reichweiten von 10 Mio. Menschen. Quelle: www.facebook.com, abgerufen am 8.2.2017

Als Grundlage für diesen Beitrag wurde beispielhaft die Kommunikation über Facebook im Winter 2016/17 beobachtet – die sich im Gegensatz zum Winter 2015/16 von Lawinen-Shitstorms hin zu salonfähigen Lawinenpostings geändert hat.

Wozu soziale Medien?

Man kann sie nicht mehr ignorieren. Sie sind da. Nein, nicht die Lawinen, sondern die sozialen Medien. Allem voran verwenden wir Facebook. Und mit „wir“ sind nicht „die Jugendlichen“ oder Firmen gemeint, sondern wir über 25-jährigen Privatpersonen (die Jugendlichen haben schon auf andere soziale Plattformen gewechselt, dazu später).

Soziale Medien haben unsere Kommunikation und deren Kultur verändert. Noch nie war es so einfach und so schnell (und mobil) möglich, so vielen Leuten unsere Aktivitäten mitzuteilen. Noch nie war es so einfach, vielen Menschen unsere Meinung zu einem Thema kundzutun. 

Soziale Medien lassen uns digital überall dabei sein. Und wir wollen dabei sein!

We are social

Fast 90 Prozent der deutschen Bevölkerung verwenden das Web (über 80 Prozent mobil), über 40 Prozent soziale Medien, mehr als ein Drittel (ca. 33 Mio.) nützen bereits Facebook .

Schaut man sich die Altersverteilung der Facebook-User von Österreich an , so sind diese ziemlich ausgeglichen auf männlich und weiblich verteilt, wobei die Hauptaltersgruppe zwischen 20 und 39 Jahren liegt (ca. 2 Mio., d.h. mehr als die Hälfte aller österreichischen Facebook-User). Dies unterstreicht, dass Jugendliche nicht mehr auf Facebook sind, sondern „wir“ die Haupt-User-Gruppe darstellen.

In diesem Zusammenhang interessant ist auch die Nielsen-Regel: Diese besagt, dass im Social Web

  • 70 Prozent der User nur Beobachter und passive Zuschauer sind,
  • 20 Prozent mitmachen (d.h. liken, sharen, kommentieren) und
  • nur 10 Prozent aktiv Content produzieren. 

Da wir aber alle dabei sein wollen, ist es Usus, den 10 Prozent aktiv produzierten Content nicht nur zu lesen, sondern darauf zu reagieren und somit zu den 70 % der Beobachter zu gehören, welche die Reichweite fördern.

Wozu verwendet man soziale Medien 

Die sozialen Medien erlauben uns, schnell, einfach und von überall Content zu produzieren und mit einem großen Netzwerk zu teilen – das ist die technische Sichtweise, warum soziale Medien funktionieren und wachsen.

Warum aber postet man überhaupt? Welche Inhalte möchte man verteilen und was hat der User konkret von diesem Vorgehen? Das Fish-Modell von Mirko Lange (Abb. 2)  geht davon aus, dass „Content bestimmte Aufgaben erfüllt“ – sowohl für den Content-Producer als auch für den Leser, hier mit dem Fokus auf private User paraphrasiert.

Abb. 2: Fish-Modell von Mirko Lange, Illu by Roman Hösel I bergundsteigen.blog

1. Motivation der Schreiber

Follow Content: „Ich möchte Likes.“

Hier geht es um Content, der gern auch von unbeteiligten Personen geteilt oder geliked werden soll und kann, um so eine große Reichweite der Posts zu erlangen. Je mehr Reichweite ich habe, desto höher ist die Qualität (oft im Nachhinein) meines Erlebnisses. Das sind die klassischen Montag-in-der-Früh-Skitouren-Fotos vom Wochenende oder, noch schlimmer, die Montag-in-der-Früh real-time (in Echtzeit aufgenommenen, siehe Abb. 3)-Fotos. Diese Postings sind nett, oft positiv geschrieben, haben relativ wenig Informationsgehalt, veranlassen aber niemanden, extrem darauf zu reagieren. Ziel ist meist, sich selbst oder ein Produkt darzustellen. Selbstmarketing.

Abb. 3: Follow-Content sind u.a. schöne, positive Skitourenposts mit wenig Informationsgehalt, auch die Leser reagieren positiv. Ziel ist es, eine große Reichweite zu erzielen.

Inbound-Content: „Ich möchte, dass Leser auf meine Website kommen.“

Diese Art von Posts vermittelt den Lesern einen Teaser zu relevanten Themen. Der gesamte Content verbirgt sich aber auf der Website des Schreibers. Facebook hilft, durch gute Posts den Klick-Reiz beim Leser auszulösen und ihn auf die eigentliche Website zu leiten. Diese Art von Content ist v.a. für Unternehmen wichtig. Im alpinen Bereich sind das z.B. Beiträge einschlägiger Fachmagazine zu Regionen, Tourentipps, Condition Reports (Abb. 4). Die Inhalte hätte niemand aktiv gesucht, als Leser ist man aber dankbar, wenn man sie erhält. Der Informationsgehalt dieser Postings ist hoch, der Inhalt neutral gehalten, ebenso die Reaktionen der User.

Abb. 4: Inbound-Content hat einen relativ hohen Informationsgehalt und will den User auf die Website des Schreibers bringen. Der Post ist neutral gehalten.

Search-Content: „Ich liefere Information.“

… liefert Antworten auf gestellte Fragen, so wie z.B. der Lawinenwarndienst Auskunft zur aktuellen Lawinenwarnstufe gibt (Abb. 5). Der Informationsgehalt ist auch hier hoch, die Einleitung aber objektiv gehalten. 

Die User folgen dieser Facebookseite meist aktiv bzw. rufen die aktuellen Infos aktiv ab. Motivation dieser Postings ist die Informationsvermittlung.

Abb. 5: Search-Content wird von den Usern aktiv abgerufen. Die Motivation des Schreibers ist Informationsvermittlung, der Inhalt ist neutral.

Highlight-Content: „Ich möchte Viralität.“

Er begeistert, schafft Aufmerksamkeit und wird meist viral, d.h. verbreitet sich schnell im Netz-/Werk. Dafür muss sich der Inhalt solcher Posts aber abheben vom Großteil dessen, was im Netz ist. Dies sind Postings vom „Mitschwimmen in der Lawine“ oder Mitfilmen einer abgehenden Lawine (Abb. 11). Der Einleitungstext zum Posting zielt schon auf die gewünschte, extreme Reaktion ab, um eine große Reichweite zu erzielen. Ziel dieser Postings ist für Firmen die große Reichweite, damit ihre Marke bekannt wird. Bleibt die Frage offen, was die Motivation einer Privatperson für solche Postings ist.

2. Motivation der Leser und „Reagierer“

Facebook, wie auch andere soziale Medien, lebt von der Dynamik der Poster und der Leser. Es handelt sich hier um eine two-way-communication, d.h. von jedem Sender und Empfänger wird etwas zur Kommunikation beigetragen (wie in einem Gespräch, nur ist dann das Auditorium erheblich kleiner); im Gegensatz zur one-way-communication, wenn ich mir z.B. einen Film ansehe, dann empfange ich nur.

Dabei zu sein, ohne dabei zu sein: die Masse

Man will dabei sein und liked die klassischen Follow-Posts. Man reagiert und exponiert sich aber nicht. Das ist die positive und nette Variante der sozialen Medien, auf die vor allem Instagram setzt. Das Ziel: dabei sein. 

Sich zu informieren und weitere Informationen zu geben: die Informierten

Hier wird der oben erwähnte Search-Content gelesen, geliked, geklickt und auch schon kommentiert, aber auf einer sehr fachlich-neutralen Ebene bzw. auch noch auf der „Ich will dabei sein“-Ebene, z.B. poste ich im Kommentar meinen Tourentipp. Oder es ist eine fachliche Reaktion auf objektive Statusberichte von Lawinenwarndiensten oder Experten (Abb. 6). 

Abb. 6: Sich informieren und weitere Informationen zu geben, ist die Motivation vieler Leser. Die Reaktionen sind neutral und unaufgeregt.

Teil einer (Experten-)Gruppe werden und vermeintlich anonym Meinungen kundtun

Die Netzwerkmöglichkeit ist bei keiner anderen Art von Medium so stark und schnell gegeben wie hier: mit wenigen Klicks ist man mit einer großen Anzahl von Leuten vernetzt, auch wenn man mit ihnen nicht befreundet ist (jeder Post, auf den man reagiert, wird zu einem gewissen Prozentsatz bei allen eigenen Freunden/Fans ausgespielt).

Diese Funktion ist herauszustreichen und kritisch zu sehen, da man sich in der neu erworbenen digitalen Gruppe sicher und im Web anonym fühlt. So traut man sich, sich zu exponieren, denn es gibt ja noch viele andere, die gleich denken. Bekommt man eine negative Antwort, erhält dies ja „das neue digitale Wir“ und nicht mein „analoges Ich“. 

Zum zweiten tut man Meinungen kund, die man so niemandem direkt sagen würde (siehe Postings zu den Wahlen in Österreich 2016). Auch im alpinen Bereich funktioniert diese (Gruppen-)Dynamik (siehe die Serie an Shitstorms nach Beinahe-/und Lawinenunfällen im Winter 16/17). 

Im vergangenen Jahr zeigte ein Posting das Real-Time-Video eines Rutschblocktests (Abb. 7). Der Beitrag hatte eine unglaubliche Reichweite (über 300.000), doch wusste von den erreichten Personen fast niemand, was denn ein Rutschblock überhaupt ist. Egal, durch Liken und Teilen des Beitrages hat sich aber jeder schnell der vermeintlichen Expertengruppe hinzugefügt.

Sich von anderen abzuheben – die Best-of-Group

Hier handelt es sich um das Leser-Aliquot zum Highlight-Content. Nur wenn ich auch subjektiv und „extrem“ reagiere, werde ich Teil dieser Highlight- und „Best of“-Group (Abb. 8). 

Abb. 8: Highlight-Content und die Best-of-Group: Zum einen wird extremer Content gepostet, zum anderen wird extrem reagiert. Die soziale Dynamik funktioniert.

3. Was bewirken soziale Medien beim Leser – social ist nicht gleich sozial.

Wie jede Art von zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation ruft auch Social-Media-Kommunikation beim Sender und Empfänger Gefühlszustände und persönliche Dynamiken hervor.

Stress

Postings erfüllen uns nicht nur mit Dankbarkeit und Freude über die schönen Fotos und tollen Erlebnisse unserer Mitmenschen. Sie stressen! Wo liegt noch Pulver? Wer ist mehr Höhenmeter gegangen? Wer ist eine noch steilere Rinne gefahren? Und wann kann ich das in meiner noch so vollen Arbeitswoche unterbringen?

(Und alle, die jetzt denken, „Ich bin ja gar nicht bei Facebook, auf mich trifft das nicht zu.“ – Wie oft wechselt ihr eure Whats-App-Profil-Fotos?)

Vergleichen – mein Benchmark 

Benchmarking wird vor allem in der freien Wirtschaft verwendet, um Bezugswerte zu starken Partnern und Zielen zu schaffen, um sich also mit anderen vergleichen zu können. Soziale Medien eröffnen uns unseren persönlichen Benchmark, um uns mit anderen zu messen und zu vergleichen, wo ich mich einreihen kann. Vergleichswerte sind z.B. Powder, Höhenmeter, Steilheit und Geilheit (meint Likes, Shares und Kommentare) der Fotos.

Bewertung – der eigenen Erlebnisse – erhalten

Ob meine Skitour vom Wochenende hammergeil war oder ziemlich fad, entscheide nicht ich, sondern die Likes und Kommentare meiner (virtuellen) Freunde. Das Geilheits-Gefühl der Skitour (bzw. meist der Abfahrt) kann sich dadurch immens verlängern – bis zu dem Zeitpunkt, wo ich rechts oben keinen Hinweis mehr auf Reaktionen bekomme. 

Die Folge ist eine Verzerrung des Erlebnisses: es wird nicht mehr intrinsisch, also von mir selbst, bewertet, sondern von meiner Umwelt (extrinsisch). Was sich in Summe aber wieder auf meine subjektive Bewertung auswirkt: hammergeiles Skitourenerlebnis + keine Likes = schlechte Skitour?
Weiterführend wirkt sich das auch auf meine Handlungen aus, die demnach intrinsisch oder extrinsisch motiviert sein können.

Be-Urteilung – der Erlebnisse anderer – abgeben

Jemandes Skitour zu bewerten und sie somit zu liken oder nicht, ist noch die harmlose Variante. Über jemanden zu urteilen, ist die weitaus kritischere Handlung. Hier unterscheidet man zwei Arten:

Die Reaktion, wenn jemand auf einen geposteten Content reagiert, d.h. liked, kommentiert etc. Reaktion ist also der Schritt danach und eine Konsequenz einer aktiv gesetzten Handlung.

Die Proaktion hingegen ist einen Schritt voraus und meint eine „Vorausplanung, ein zielgerichtetes Handeln und eine Situation herbeiführend“. Proaktion meint im Social-Media-Bereich, wenn ich etwas über jemanden anderen poste, der nicht mal die Möglichkeit hatte, es selbst zu posten, nicht in die Kommunikation über ihn involviert ist und somit darauf auch nicht reagieren kann (Abb. 9).

Findet eine Verharmlosung von Lawinen statt?

Genug der Einleitung, was bedeutet dies nun für „uns Bergsteiger“? 

Wie schon mehrfach erwähnt, war der Winter 2015/16 geprägt von der Shitstorm-Dynamik zu Lawinenabgängen & Co. Stattgefunden hat das Ganze bei Inbound- oder Search-Content, Inhalten von Lawinenwarndiensten oder Nachrichten-Portalen. Kommentiert wurde im Stil der Be-Urteiler und vermeintlichen Experten, die hier alle in der Experten-Runde dabei sein wollten. Das findet man heuer selten: 2016/17 beurteilt man nicht Lawinenabgänge, sondern postet gleich mal selbst Lawinenanrisse oder -abgänge.

Wie ist das passiert?

Der Winter ließ in der Saison 2016/17 auf sich warten. Der lang ersehnte Schnee fiel dann Anfang Jänner und blieb aufgrund der niedrigen Temperaturen auch relativ lange als Powder und Oberflächenreif liegen. Das stabile Hochdruckgebiet in der zweiten Jännerhälfte gab dem Ganzen einen fotogenen Rahmen.

Die Powder-Fotos hatten dann aber ab Anfang Jänner wirklich alle. Jeder und überall, von Ost-Österreich bis in die Bayerischen Voralpen. Der somit übliche Highlight-Content mutierte schnell zum Follow-Content und erhielt außer der üblichen Menge an Likes keinerlei Reaktionen der Leser. Auch als Leser konnte man sich nur mehr schwer exponieren – was soll man denn zum hundertsten Powder-Foto noch sagen? Der übliche Highlight-Content ist somit zum „minderen“ Follow-Content mutiert. Um jetzt Highlights zu schaffen, muss man sich schon etwas „Extremeres“ überlegen, um die Aufmerksamkeit der Leser zu bekommen.

Auch als aktiver Leser und Reagierer wartet man dann schon sehnsüchtig auf solche extremen Postings, um endlich kommentieren oder seine Gefühle über Emojis ausdrücken zu können. Um endlich wieder Teil einer digitalen Gruppe zu werden. Wie es dann dazu gekommen ist, in drei Schritten erklärt:

Step 1: same same – Powderfotos

Wir hatten ihn alle – den Powder. Wir hatten sie alle – die Powderfotos und -videos. Wir haben sie gepostet. Bis wir sie nicht mehr sehen konnten, weil sie sich ähnlich waren. Mehr noch, es wurde alles zu einem emotionslosen Einheitsbrei „same same“. Wir haben uns nicht mehr voneinander abgehoben. Also Highlight-Content, der aufgrund seiner Menge zu Follow-Content degradiert ist. Leser, die keine Möglichkeit haben, sich abzuheben, Experten, die auch einfach nur „Dabei sein“ können. Unaufgeregt.

Step 2: Beurteilung der Lawinensituation

Mitte Jänner kursieren die ersten Postings, in denen Lawinensituation und Schneedeckenaufbau analysiert und kommentiert oder Lawinenabgänge gezeigt werden (Abb. 10). Beobachtungen, Statements oder bereits Be-Urteilungen? Der Informationsgehalt steht zwar noch im Vordergrund, ebenso die Motivation der Leser, sich informieren zu wollen. Aber der Comfort-Bereich der hundertprozentigen Objektivität wird bereits verlassen, Subjektivität und Ver-/Beurteilung halten Einzug und die Grenzen zum Highlight-Content beginnen zu verschwimmen.

Abb. 10: Beurteilung der Lawinensituation steht noch im Vordergrund, aber die Grenzen zu reißerischem, viralem Highlight-Content beginnen zu verschwimmen.

Step 3: Lawinen sind der neue Highlight-Content

Man postet Fotos von Lawinenabgängen, Anrissen und auch Unfällen (Abb. 1 und 11). Und was passiert – die Fotos und Videos werden geliked, geteilt und kommentiert! Aber nicht nur auf fachlicher und sachlicher Ebene, nein, Emotionen und Subjektivität halten Einzug: „Ich war dabei!“, „Whohoo!“ oder Lach-Emojis – die Lawine ist mehr als nur salonreif geworden. Die Lawinenpostings gehören heuer dazu, wenn man dabei sein will. Oder man kommentiert einfach die fremden und „sneaked“ sich so zur Best-of-Group.

Abb. 11: Lawinen sind der neue Highlight-Content. Die Reaktionen darauf sind einfach nur schräg. Eine neue Best-of-Group entsteht.

Folgen: Soziale Medien und Verantwortung im alpinen Bereich

Nun kommen wir schlussendlich zu folgendem Punkt: „Brauchen wir auch im Bereich des Bergsportes ethische Normen und Regeln für die Verwendung sozialer Medien?“ Sollten wir uns nicht auch die Frage stellen, was wir mit unseren Postings bewirken, wo Grenzen liegen und welche Verantwortung wir für die große Masse der Leser tragen? Heiligen Likes alle Post-Inhalte? Und bewirken solche Postings eine Verharmlosung der Lawinen?

Kommunikations- und Medienethik vs. Kommunikationsfreiheit

Kommunikation respektive Interaktion bedeutet auch Macht und Beeinflussung (sehen wir am veränderten Nachrichtenkonsum über soziale Medien und der damit einhergehenden einseitigen Berichterstattung zu den amerikanischen Wahlen). Somit trägt man als Publisher von Medieninhalten immer auch Verantwortung – ebenso wie natürlich auch als Leser in der Wahl seiner Medien.

Der Journalist und Mitarbeiter der Tageszeitung „Berliner Morgenpost“, der den Amokfahrer in Berlin live gefilmt und gepostet hat, wird nicht nur von Usern, sondern auch in Fachkreisen stark kritisiert : er hätte gegen den Pressekodex  (ein gemeinsam festgelegter Kodex über publizistische Grundsätze) verstoßen. (Anm.: Zur Userkritik ist interessant, dass es doch immerhin in weniger als zwei Stunden nach dem Anschlag bereits eine Million Aufrufe auf Facebook und mehr als zehntausend Shares zu diesem Post gegeben hat).

Auch in Salzburg läuft gerade eine inhaltlich ähnliche Diskussion, wenn auch nicht zu einem so tragischen Thema, zwischen den Salzburger Bergrettern und -führern mit der Salzburger Land Tourismus Gesellschaft (Abb. 12): Bergführer  und Bergrettung  aus Salzburg werfen der Land Tourismus Gesellschaft vor, dass sie zu viel mit Powder-Imagefotos arbeiten und so suggerieren (…), „dass man das immer und überall machen kann“  und das Thema Schnee und Lawinen somit verharmlost wird.

Und hier geht es noch nicht mal um den Step 3, sondern erst um Step 1 – die lässigen Powderfotos. Was bewirken wir also mit subjektiv eingeleiteten Highlight-Postings und verharmlosenden Reaktionen auf Lawinenposts?

Abb. 12: Medienverantwortung im Salzburger Land – darf Pulver als Touristenattraktion verwendet werden oder muss auch immer gleichzeitig über Lawinengefahr informiert werden? Quelle: salzburg.orf.at vom 24.1.2017

Produsage: medienethische Verantwortung des einzelnen Users

Content-Erstellung hat sich verändert – nämlich dahingehend, dass nicht nur ausgebildete Journalisten und Experten Inhalte produzieren und verteilen, sondern auch wir ursprüngliche Konsumenten und User dieser Inhalte. Die ehemals klare Unterscheidung zwischen Produzenten und Usern von digitalem Content wurde somit aufgehoben. User produzieren und publizieren Content gleichermaßen und sind somit Produser . Diese Veränderungen ergeben eine neue Verantwortung für den Einzelnen (die sich zuvor meist auf professionelle Medien und Firmen beschränkt hat). Gefordert wird eine kritische Reflexion über medienethische Konsequenzen für den produzierten Content des Einzelnen.

Kodex für ethisch korrektes Posten

Der Ethik-Rat für Public Relations hat einen Kodex zu diesem Thema erstellt, der Grundprinzipien zur „Ethik in der Digitalen Kommunikation“  gibt. Er beginnt dort, wo der gesetzliche Rahmen endet, der tw.  nur die semi-professionellen und professionellen Teilnehmerinnen der digitalen Wertschöpfungskette im Fokus hat. Darauf basierend können auch für den nicht-professionellen Producer Punkte übernommen werden:

8 Grundprinzipien der Kommunikationsethik in Social Media 

  • Fairness Mit kommunikativer Macht sorgsam umgehen. 
  • Respekt Die Persönlichkeit und die Meinungen der Nutzer respektieren.
  • Verantwortung Als Kommunikator die Verantwortung für den Inhalt einer Aussage übernehmen. 
  • Moderation Klare Richtlinien für den Diskurs vorgeben. (Das meint auch, auf Reaktionen der Leser adäquat zu reagieren, Anm. der Red.). 
  • Klarheit Regeln und Anleitungen als Orientierungshilfe für MitarbeiterInnen eines Unternehmens definieren. 
  • Transparenz Die Rolle als Kommunikator und die Motivation offenlegen, z.B. „Was will ich mit dem Post sagen?“
  • Höflichkeit 
  • Privatsphäre Persönliches, das meint auch das „Recht auf das eigene Bild“, d.h. dass man Personen fragen muss, bevor man ein Foto von ihnen postet, und Vertrauliches als vertraulich behandeln.

Resümee

Was passiert mit unserer Kommunikation durch das Aufkommen sozialer Medien? Risk of Ignorance:

Was passiert mit unserem Mitteilungsbedürfnis und Mitteilungsverhalten? 

War man früher als Privatperson doch eher drauf bedacht, keine Meldungen über „seine“ Lawinenabgänge rauszulassen, und wenn dann sehr vorsichtig und selbstkritisch, so ist das jetzt nicht nur salonreif, sondern sogar zum Best-of-Content geworden, dessen Informationsgehalt nicht nur objektiv und fachlich ist.

Was ist mit uns als Leser passiert? 

…, dass wir auf solche Postings in fast tragisch-cooler Weise reagieren müssen („ich war dabei“, „:D“)? Erkennen wir den Unterschied von Realität und deren Folgen im Unterschied zum anonym-digitalen-Gruppendasein noch, in dem wir uns sicher fühlen?

Brauchen wir medienethische Richtlinien oder reicht Sensibilisierung aus? 

Müssen alpine Organisationen und Bergsportvereine in die Verantwortung gezogen werden, um ihre Mitglieder für die ethischen Grenzen in sozialen Medien zu sensibilisieren? Reicht das aus oder müssen sogar medienethische Richtlinien vorgegeben werden? Erreichen wir irgendwann den Punkt juristischer Konsequenzen bei fahrlässigen Posts? Das Thema zu ignorieren wäre falsch – Risk of Ignorance. Es muss thematisiert und darauf reagiert werden.  Für mich sind solche Entwicklungen spannend zu beobachten und kritisch zu hinterfragen. Auch mein eigenes Social-Media-Verhalten. Aber ich poste ja aus beruflichen Gründen … ■

Illustrationen: Roman Hösel

Erschienen in der
Ausgabe #98