Österreichische Bergunfallstatistik Winter 23/24: Instabile Verhältnisse und mehr Verunfallte
Das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit (ÖKAS) über die vorläufige Alpinunfallstatistik des Winters 2023/24. Ausgewertet wurde der Zeitraum vom 1. November 2023 bis 1. April 2024.
Zahl der Alpintoten im Winter 2023/24 im 10-Jahres-Mittel
Wie aus der Alpinunfallstatistik hervorgeht, sind in den oben genannten Zeitraum 106 Menschen in Österreichs Bergen ums Leben gekommen. Diese Zahl liegt nur leicht unter jener des 10-Jahres-Mittel (109) sowie des Winters 2022/23 (107). Im Betrachtungszeitraum sind 86 Männer (81 %) und 19 Frauen (18 %) am Berg tödlich verunglückt. Bei einem Alpintoten (1 %) wurde kein Geschlecht angegeben.
Die Unfallereignisse der vergangenen Tage zeigen jedoch, dass der Winter noch nicht vorbei ist! Insbesondere in höheren Lagen treffen Bergsportlerinnen und Bergsportler auf anspruchsvolle Tourenbedingungen welche eine solide Tourenplanung und eine gute Einschätzung der Gefahrenquellen verlangen. Für Hochtouren müssen Veränderungen im alpinen Hochgebirge in die Tourenplanung mit einbezogen werden.
Zahl der Verunfallten und Verletzten vorerst leicht über dem 10-Jahres-Mittel
Die Zahlen können sich aufgrund von Nachtragungen noch um ca. +10 Prozent erhöhen.
Im Winter 2023/24 sind 5.173 Personen als Verletzte in der Alpinunfalldatenbank erfasst (10-Jahres-Mittel: 4.926; 9-Jahres-Mittel ohne COVID Winter 2020/21: 5.294). Insgesamt wurden 7.517 Verunfallte (Tote, Verletzte, Unverletzte; 10-Jahres-Mittel: 7.339; 9-Jahres-Mittel: 7.877) und 4.831 Unfälle (10-Jahres-Mittel:4.645; 9-Jahres-Mittel: 4.957) registriert. Das Geschlechterverhältnis ist bei den Verletzten ausgeglichener als bei den Alpintoten: 54 % der Betroffenen waren männlich, 44 % weiblich. Bei zwei % der Verletzten gibt es in der Alpinunfalldatenbank keine Angabe zum Geschlecht.
Der Anteil der Unverletzten liegt bei 30 Prozent. Unverletzte Personen, die einen Notruf absetzen, befinden sich in misslichen Lagen, sind von den Gegebenheiten einer Tour oder den Verhältnissen überfordert oder haben sich selbst überschätzt. In der Disziplin Piste/Skiroute, welche im Winterrückblick sehr dominant ist (63 % der Unfälle), ergeben sich Unverletzte zumeist durch Unfälle, die durch eine Kollision oder Beinahe-Kollision verursacht werden und bei denen nicht alle Beteiligten verletzt sind.
Die meisten Unfälle in Tirol
Der Bundesländervergleich zeigt, dass sich in Tirol – wie auch in den vergangenen Saisonen – die meisten Alpinunfälle ereignen (45 % der Unfälle; 29 % der Toten). Über alle Bundesländer hinweg wurden dabei in den Monaten Jänner, Februar und März wurden die meisten Todesopfer (74 %) verzeichnet. Bei den Verunfallten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die meisten Personen (63 %) verunfallten in den Monaten Jänner und Februar.
Unfälle nach Bergsportdisziplin
Die meisten Alpintoten ereigneten sich im Winter 2023/24 auf Pisten und Skirouten.
Tote nach Bergsportdisziplin
Verunfallte nach Bergsportdisziplin
Peter Paal, Präsident Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit (ÖKAS):
„Schaut man die Zahlen genauer an fällt auf, dass Unfallkategorien, die besonders mit instabilem Wetter zu tun haben (z.B. Warmzeit, Sturm) zunehmen. Zum Beispiel stiegen die Zahlen der Verunfallten bei Forstunfällen (97, langjährig 68), Eisklettern (26, langjährig 19), kombinierte (Hoch)Tour (20, langjährig 14) an. Insider wissen, dass Sturmholz unfallträchtig ist, und beim Eisklettern und auf Hochtouren verschärfen die hohen Temperaturen die Gefahr massiv. Die Herausforderung durch den Klimawandel nimmt zu, wir müssen uns präventiv wappnen!„
Ursachen: Kollisionen und Herz-Kreislauf-Störungen
Die Auswertungen des ÖKAS/BMI ergeben, dass bei den Verunfallten der prozentuelle Anteil der Unfallursache Kollision – meist auf Pisten und Skirouten – mit 60 % am größten ist. Die nächsthäufigste Unfallursache ist Sturz/Stolpern/Ausgleiten mit 16 %. Wissenswert dazu: Die Alpinpolizei erfasst im Bereich von Pisten und Skirouten lediglich Unfälle, bei denen Verdacht auf Fremdverschulden besteht.
Bei den Alpintoten ist wie bereits in den vergangenen Saisonen die Herz-Kreislauf-Störung (27 %) die meistgenannte Unfall- bzw. Notfallursache (10-Jahres-Mittel: 23 %). Das sind 29 Menschen, die aufgrund von internen Notfällen in Österreichs Bergen ums Leben kamen. 14 % (15) der Alpintoten verstarben nach einer „Sturz, Stolpern, Ausgleiten“-Situation.
Piste: Kollision, Sturz, Stolpern und Aufprall
Im organisiertem Skiraum (auf Pisten und Skirouten) verunfallten in Österreich im Betrachtungszeitraum bis inkl. Ostermontag 5.244 Personen. Im 10-Jahres-Mittel waren es 5.287 Wintersportler:innen. Auf Piste/Skiroute ist es aufgrund des COVID Winters 2020/21 interessant auch das 9-Jahres-Mittel zu betrachten, da die äußerst geringen Zahlen der COVID Saison 2020/21(teilweise geschlossene Skigebiete, nahezu kein Ski-Tourismus) das 10-Jahres-Mittel deutlich nach unten drücken.
Nach der Haupt-Unfallursache Kollision (85 Prozent) folgen Sturz, Stolpern/Ausgleiten (6 %) und Aufprall gegen Hindernis mit 4 %. Die Anzahl der Verletzten auf Pisten/Skirouten ohne Verdacht auf Fremdverschulden ist um ein Vielfaches höher, wird jedoch in dieser Datenbank nicht erfasst.
Die meisten Toten auf Österreichs Pisten/Skirouten waren zwischen 61 und 70 Jahre alt (38 %). Die Altersgruppe mit den meisten Verunfallten ist die, der 11-20-Jährigen mit 21 %.
„Der letzte Winter war einer der drei wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Damit einhergehend sind massive Wetter- und Schneekapriolen, die den Wintertourismus und die einzelnen Wintersporttreibenden vor in diesem Ausmaß nicht gekannte Herausforderungen stellen. Extremsituationen mit Sulzschnee im Hochwinter, Vereisung und weißen Strichen im „Grünen“ gehören mittlerweile zum Pisten-Standardrepertoire in niedrig gelegenen Skigebieten, so sie überhaupt noch geöffnet sind.“ Peter Paal
Skitour: interne Notfälle
Insgesamt wurden auf (Ski-)Tour für den betrachteten Zeitraum etwa 700 Verunfallte (im 10-Jahres-Mittel: 560) und 20 Tote (im 10-Jahres-Mittel: 17) registriert. Interessant für den vergangenen Winter ist, dass 11 Männer (58 %) durch einen internen Notfall ums Leben kamen. 4 Skitourengeher:innen starben durch einen Lawinenabgangs, 3 aufgrund eines Absturzes, einer wegen eines Wechtenbruchs und einer aufgrund eines Wettersturzes. 11 Österreicher, 7 Deutsche, ein Pole und ein Slowake kamen in Österreich beim Skitourengehen ums Leben.
Wechten: faszinierend und gefährlich.
Im vergangenen Winter war in manchen Regionen der Alpen eine Häufung von Unglücken und Vorfällen in Zusammenhang mit Wechtenbrüchen zu verzeichnen. Ueli Mosimann erinnert uns in seinem Beitrag an diese häufig schwer einzuschätzende Gefahr.
Lebensgefährlich: Sport mit Erkältung
„Auffallend heuer war auch, dass 20 Tote bei der Skitour zu beklagen waren (17 im 10-Jahresmittel), die Mehrheit (11) starb an Herz-Kreislauf Versagen. Hier ist zu sagen, dass Sport mit Erkältung lebensgefährlich ist! Vor allem virale Erkrankungen, die leichte grippale Symptome auslösen, können auf das Herz schlagen, man spricht von einer Herzmuskelentzündung. Eine solche Entzündung kann Wochen oder sogar Monate andauern und zu einer Schwächung des Herzmuskels führen, bei Belastung droht im schlimmsten Fall ein Herzstillstand. In dieser Phase lautet die eindeutige Empfehlung, sich zu schonen und keinen zu großen Belastungen auszusetzen, bis man wieder gesund ist.“ Peter Paal
Lawinenunfälle
8 Tote sind in Österreich durch Lawinen in diesem Betrachtungszeitraum ums Leben gekommen, im langjährigen Schnitt waren es im gleichen Betrachtungszeitraum 16 Personen. 2 Opfer waren in Kärnten, 2 in Oberösterreich, 3 in Tirol und eines in Vorarlberg zu beklagen. 4 Personen starben auf (Ski-)Tour, zwei beim Eisklettern und jeweils einer auf Variante bzw. Hochtour in einer Lawine. Beim Geschlechterverhältnis zeigt sich das langjährige Bild: Sechs Männer und zwei Frauen starben diese Saison bis Ostermontag in einer Lawine.
Extrem warm und niederschlagsreich
Alexander Radlherr, GeoSphere Austria:
Ein gegensätzliches Bild charakterisiert den alpinen Winter 2023/24: er war nämlich vor allem in größeren Höhen relativ schneereich, trotz einer Häufung von teils extrem warmen Perioden und nur wenigen kalten Tagen im gesamten Winterhalbjahr. Insbesondere die niederschlagsreichen und nur mäßig zu warmen Monate November und Dezember legten mit mehreren Starkschneefallereignissen die Grundlage für eine gute Schneelage in der Höhe und kurzzeitig auch in Tallagen.
Der insgesamt zu warme Jänner brachte erneut relativ viel Niederschlag, in den Tälern aber fast nur noch Regen. Die zweite Winterhälfte war hauptsächlich geprägt von herausragend überdurchschnittlichen Temperaturen. Auf den wärmsten Februar seit Aufzeichnungsbeginn folgte ein ebenfalls markant zu warmer März mit gebietsweise ebenfalls neuen Temperaturhöchstwerten. Dafür verantwortlich waren bis ins erste Aprildrittel hartnäckige und oft föhnige Südwestwetterlagen, die auch für zwei markante Saharastaubeinschübe sorgten. Diese anhaltende Großwetterlage brachten neue Temperaturrekorde, Frostgrenzen von jenseits der 4000m-Marke und die frühesten Hitzetage sowie Blütenbeginne seit Messbeginn in den Niederungen.
Unterbrochen wurden die Wetterlagen von Kaltfronten mit Italientiefs, die vor allem den Zentralalpen mehrere kurzzeitige Starkschneefälle bescherten. Die extreme Wärme ließ den Schnee in tiefen und mittleren Lagen oft frühzeitig verschwinden, einzig in größeren Höhen findet man aufgrund der niederschlagsreichen Vormonate besonders nach Westen zu überdurchschnittliche Schneehöhen.
Quelle: Alpine Unfalldatenbank – Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit/BMI Alpinpolizei