Dehydrierung & Bergsport: Was passiert bei Wassermangel?
„Ausreichend hydriert zu sein, ist wichtig für die sportliche Leistung und die Regeneration, davon bin ich überzeugt. Das Problem ist nur: Wasser ist schwer. Also gehe ich meistens einen Kompromiss ein und trinke ein bisschen weniger, als ideal wäre. Einfach weil es so anstrengend ist, so viel Flüssigkeit mitzuschleppen.“ (Colin Haley)
Das Dilemma, das der amerikanische Alpinist Colin Haley beschreibt, dürften die meisten Bergsportler*innen kennen. Und womöglich auch die Folgen des Wassersparens: Dehydrierung. Aber warum ist trinken – beim Sport und besonders beim Bergsport – eigentlich so wichtig? Was passiert bei Wassermangel? Und mit welcher Trinkstrategie lässt er sich am besten verhindern?
1. Der Hintergrund: Warum trinken?
Der menschliche Körper besteht mit etwa 60 Prozent zu einem großen Teil aus Wasser, wobei der Wassergehalt bei Männern höher ist als bei Frauen. Das Wasser erfüllt zwei Hauptaufgaben: Transport von Nährstoffen und Abbauprodukten sowie Temperaturregulation. Bei freiem Zugang zu Essen und Trinken steuert der Körper seine Wasserbilanz normalerweise automatisch mithilfe von Durstgefühl und verminderter oder verstärkter Flüssigkeitsausscheidung über die Nieren.
Ist allerdings zu wenig Wasser verfügbar und/oder verliert der Körper durch starkes Schwitzen zu viel davon, kommt es zu Dehydrierung. „Da wichtige Organe wie das Gehirn und auch die Muskeln einen Wasseranteil von 70 Prozent aufweisen, sind körperliche und geistige Leistung bereits bei einem geringfügig scheinenden Wasserdefizit von zwei Prozent des Körpergewichts eingeschränkt“, sagt Prof. Wolfgang Schobersberger, Leiter des Instituts für Sport- und Alpinmedizin & Gesundheitstourismus der Tirol Kliniken Innsbruck und UMIT TIROL/Hall und Gründer der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin.
Bei einer 70 Kilogramm schweren Person wären das etwa 1,4 Liter Wasser. Um diese Menge auszuschwitzen, müsste die Person etwa eine Stunde in warmer Umgebung (28 °C) in schnellem Tempo (15 km/h) laufen, so die Kalkulationen der Arbeitsgruppe Sporternährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Wie viel Schweiß ein Mensch abgibt, variiert allerdings sowohl inter- als auch intraindividuell stark: Die Schweißrate kann zwischen 0,3 und 2,5 Litern pro Stunde betragen und hängt unter anderem von Temperatur, Intensität und Trainingszustand ab.
Wenig unterschiedlich sind hingegen die Auswirkungen einer Dehydrierung. Es kommt zu Konzentrations- und Koordinationsschwierigkeiten sowie zu Gleichgewichtsstörungen. Kraft- und Ausdauerleistung verringern sich und der Appetit nimmt ab. Mit dem Wassermangel sinkt das Volumen des Blutplasmas, wodurch sich die Fließeigenschaften verschlechtern.
Pro Schlag transportiert das Herz nun weniger Blut und muss schneller schlagen; die Durchblutung verschlechtert sich. Da der Körper die Schweißausschüttung reduziert, um Wasser zu sparen, steigt die Körpertemperatur. Dies ist insbesondere bei körperlicher Aktivität in warmer oder heißer Umgebung gefährlich, da (im schlimmsten Fall) ein Hitzekollaps droht.
Aber auch bei Kälte kann eine negative Wasserbilanz gefährlich werden. „Bei Dehydrierung ist das Wasservolumen in den Blutgefäßen zu gering und die Kapillaren sind schlechter durchblutet, außerdem sinkt der Blutdruck. Dadurch sind Finger, Zehen oder Nasenspitze anfälliger für Erfrierungen“, erklärt Wolfgang Schobersberger. „Hinzu kommen die Sekundärfolgen: Durch die verminderte Leistung bewegt man sich langsamer vorwärts, muss sich länger als geplant in der Kälte, vielleicht auch in der Höhe auf- halten und ist gegebenenfalls länger der Hypoxie, dem Sauerstoffmangel ausgesetzt.“
2. Der Zeitpunkt: Wann trinken?
„Für einen wirklich langen Bergtag mit 20 oder mehr Stunden nehme ich oft vier Liter Wasser mit. Wenn ich viel Wasser dabei habe, versuche ich nicht, es aufzusparen, sondern trinke so viel, wie ich gerade das Bedürfnis habe. Ich komme lieber gut hydriert und mit leichtem Rucksack an, als dehydriert und mit schwerem Gepäck.
Mitunter geht mir am Ende des Tages das Wasser aus und ich beginne zu dehydrieren, aber das ist immer noch besser, als bereits früh am Tag dehydriert zu sein. Wenn ich unterwegs zu wenig getrunken habe, versuche ich im Biwak viel zu trinken und meinen Wasserhaushalt wieder aufzufüllen.“
Colin Haley
Ad libitum, also nach Durst, trinken wie Colin Haley? Oder besser nach Plan? Bezüglich der Frage, welche Trinkstrategie die bessere ist, scheiden sich nicht nur die Geister, sondern auch die Wissenschaft. Verschiedene Studien bei Marathon- und Ultraläufen kamen zu verschiedenen Ergebnissen, die sich aber schon wegen der Verfügbarkeit von Wasser oder gar isotonischen Sportgetränken unterwegs nur bedingt auf das Bergsteigen übertragen lassen.
Wolfgang Schobersberger empfiehlt, am Berg „bewusst zu trinken und nicht erst, wenn der Körper danach verlangt. Man sollte wirklich darauf achten, ein bis zwei Trinkpausen pro Stunde zu machen und dabei mehrere Schluck Wasser zu sich zu nehmen.“ Denn: Generell bei Aktivität und vor allem auch in der Höhe reagieren die Sensoren für Flüssigkeits- wie auch Kalorienmangel verzögert.
„Früher war es ja eine Zeitlang in Mode, kaum zu trinken, als Zeichen dafür, wie fit man doch ist. Das ist physiologisch falsch und es kann sogar fatal sein, wenn man sich darauf verlässt, dass man ohne Durst keine Flüssigkeit braucht“, so der Medizinier.
„Minimum 250 Milliliter pro Stunde sind bei moderater Geschwindigkeit ein guter Richtwert. Bei Hitze oder schnellem Tempo können es auch 500 Milliliter oder mehr sein.“
Wolfgang Schobersberger
Einen guten Anhaltspunkt könne auch der Kalorienverbrauch geben, die Kilokalorien pro Stunde werden einfach auf Milliliter pro Stunde umgelegt. „Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 300 Kilokalorien pro Stunde Wandern wären das 300 Milliliter.“ Generell seien Faustregeln aber mit Vorsicht zu betrachten, weil jeder Körper anders bilanziere. Das individuelle Hormonsystem, die Nierentätigkeit und die Schweißabgabe beeinflussen den Flüssigkeitsbedarf.
Was Bergsteiger*innen zudem beachten sollten: In der Höhe ist der Flüssigkeitsbedarf erhöht. Durch den Sauerstoffmangel dickt der Körper das Blut ein, die Nieren arbeiten verstärkt. Außerdem geht wegen der beschleunigten Atmung mehr Wasser über die Lungen verloren. „Die Hyperventilation, also die Mehratmung macht sich bereits auf 3000 Metern bemerkbar, das können in Ruhe drei bis fünf Liter Atemluft zusätzlich pro Minute sein, also fast doppelt so viel wie im Tal“, sagt Wolfgang Schobersberger.
Zusätzlich ist auch bei körperlicher Anstrengung bei vergleichbarer Intensität die Mehratmung am Berg stärker als im Tal. In einer Höhe um 4000 m kann die Atemtätigkeit während kürzerer, intensiver Belastungen pro Minute durchaus 100 Liter erreichen. Das würde grob einem maximalen Wasserverlust von 250 Milliliter pro Stunde entsprechen.
Vor allem bei mehrtägiger Belastung ist es daher wichtig, rasch nach der Aktivität mit der Rehydrierung zu beginnen.
Bei gemütlicheren Wanderungen reduziert sich der Wasserverlust über die Atemwege dementsprechend deutlich. „Nicht nur das Trinken während der Tour ist wichtig, sondern auch, dass man gut ernährt und hydriert startet“, so Wolfgang Schobersberger. Normovolämie ist hier das Stichwort: Ein ausgeglichener Flüssigkeitszustand bedeutet, dass die zirkulierende Blutmenge dem Normalwert entspricht.
Vor allem bei mehrtägiger Belastung ist es daher wichtig, „rasch nach der Aktivität mit der Rehydrierung zu beginnen“. Internationale Arbeitsgruppen wie das ACSM (American College of Sports Medicine) empfehlen beispielsweise, jene Menge an Flüssigkeit aufzunehmen, die man gewichtsmäßig verloren hat. Bei einem Verlust eines Kilogramms sollte man also mindestens einen Liter trinken.
Am Berg ist der Flüssigkeitsverlust ohne Waage freilich schwieriger zu messen. Wenig zuverlässig ist das Durstgefühl, denn das verschwindet schon vor der vollständigen Rehydrierung wieder. Ein guter Anhaltspunkt ist aber die Farbe des Urins, der sollte hellgelb sein. Auch die Haut am Handrücken kann einen Hinweis geben: Bleibt eine hochgezogene Hautfalte länger stehen, ist zu wenig Wasser im System.
3. Das Rezept: Was trinken?
„Ich weiß nicht, ob es nötig ist, aber ich füge meinem Wasser normalerweise Elektrolyt-Tabletten zu, mit Natrium, Kalium, Kalzium und Magnesium. Allerdings immer weniger als empfohlen. Ich setze dem Wasser nichts mit Kalorien zu, weil ich eine Trinkblase nutze, die sich nicht ordentlich reinigen lässt. Um die Energiezufuhr aufrechtzuerhalten, esse ich regelmäßig, hauptsächlich Energieriegel – außer mir geht unterwegs das Essen aus.“
Colin Haley
Durch das Schwitzen (und vermehrte Atmen) beim Bergsport kommt es in der Regel zu einer hypotonen Dehydration: Es geht anteilig mehr Wasser als Natrium verloren, dadurch steigt die Plasma-Osmolarität. Das heißt, die Summe der im Plasma gelösten Teilchen nimmt auf den Liter Plasma gesehen zu. Dadurch ist das erste Ziel beim Trinken, mehr Volumen zu gewinnen und die normale Blutmenge wiederherzustellen (Normovolämie).
Das geht auch mit elektrolytearmem Wasser, zum Beispiel Schmelzwasser. Allerdings wird nicht jede Flüssigkeit vom Körper gleich gut absorbiert. Die Frage nach dem besten Getränk auf Tour hängt daher – neben geschmacklichen Vorlieben – auch davon ab, wie schnell die Flüssigkeit vom Körper aufgenommen wird und ob sie gleichzeitig auch Energie liefern soll.
Beides ist allerdings erst bei einer Belastung von über 90 Minuten relevant. Bei kürzerer Aktivität sind Wasser oder ungesüßter Tee daher ausreichend. Wasser und ungesüßter Tee sind hypoton, weisen also weniger gelöste Teilchen auf als Blut (und andere Körperflüssigkeiten), ihr osmotischer Druck ist geringer.
Etwas schneller aufgenommen werden isotone Getränke wie spezielle Sportdrinks, Saftschorlen oder gesüßter Tee, die eine ähnliche Menge an gelösten Teilchen wie Blut haben. Die beste Absorption wird laut DGE mit einer Kohlenhydratkonzentration von vier bis acht Prozent und 400 bis 1100 Milligramm Natrium pro Liter erreicht. Solche Mischungen passieren den Magen schnell und werden vom Darm gut aufgenommen.
Es gilt: Je hypertoner, umso schwerer verträglich, und je extremer die Beanspruchung, umso empfindlicher Magen und Darm.
Ganz anders hypertone (teilchenreiche) Getränke: „Gefährlich können Softdrinks oder unverdünnter Saft werden, die lange im Magen bleiben und somit nicht zur Hydrierung beitragen. Die sollte man auf keinen Fall während des Sports und nicht zu schnell danach zu sich nehmen“, warnt Wolfgang Schobersberger. Statt zu hydrieren, entziehen diese Getränke dem Körper sogar innerlich Wasser, durch Osmose drängt Wasser aus den Zellen in den Darm zur „dicken“ Flüssigkeit hinein.
„Unter Belastung kann bei solchen sehr mineralstoff- und zuckerhaltigen Getränken außerdem die Verträglichkeit ein Problem sein. Vor Wettkämpfen oder anspruchsvollen Unternehmungen sollte man im Training ausprobieren, was man verträgt.“
Ein Durchschütteln des Verdauungstraktes wie beim Trailrunning kann zusätzlich zur Reizung beitragen. Das Richtige zu trinken, ist also wichtig. Aber kann man auch zu viel trinken? Im Zusammenhang mit Ausdauersport wird häufig vor der sogenannten Wasservergiftung gewarnt: Durch exzessives Trinken von mineralienarmem Wasser entsteht bei starkem Schwitzen ein Natriummangel, infolgedessen es zu Ausfallserscheinungen bis zum Hirnödem kommen kann.
„Hyponatriämie entsteht eigentlich nur bei extremer Ausdauerbelastung in der Hitze, etwa bei Ultramarathons. Beim Bergsteigen sollte sie keine Rolle spielen, weil ja auch gegessen wird“, gibt Wolfgang Schobersberger Entwarnung. Über die Nahrung gewinne der Körper genug Natrium. Anders kann es bei Ultra-Trailläufer*innen sein, diese sollten fachliche Expertise einholen und sich einen Trink- und Ernährungsplan erstellen lassen.
Und wie steht es um sonstige Elektrolyte? Schließlich benötigt der Körper für die Regulierung der Nerven- und Muskelfunktion sowie des Wasserhaushalts neben Natrium auch andere Mineralstoffe wie Kalium, Kalzium, Magnesium, Phosphat und Bikarbonat. „Unter Belastung sind Kohlenhydrate sehr viel wichtiger als Spurenelemente, denn ein Kohlenhydratmangel (Unterzucker) tritt sehr viel schneller auf als der von vielen gefürchtete Kalium- oder Magnesiummangel“, sagt Wolfgang Schobersberger.
Eine „Überdosierung“ von Elektrolyten wie Natrium kann u. a. zu Übelkeit, Unwohlsein und Durchfall und bei Anwendung über mehrere Tage auch zur Wassereinlagerung im Gewebe führen („fluid loading“).
Viele Bergsteiger*innen hätten ihre eigenen Ergänzungsroutinen von Elektrolyte über Vitamine bis Energiedrinks im Basislager. Bezüglich Nahrungsergänzungsmittel rät der Mediziner allerdings zur Umsicht, die seien nur nötig, wenn über einen längeren Zeitraum keine ausgewogene Ernährung möglich sei. Beim normalen Bergwandern würden die verlorenen Elektrolyte in der Regel über die feste und flüssige Nahrung ausreichend wieder aufgenommen.
4. Der Sonderfall: Gletscherwasser trinken?
„Ich schmelze sehr oft Schnee oder Eis. Bei Schnee mache ich mir nie die Mühe, das Wasser ab-zukochen oder auf andere Weise zu behandeln. An manchen Orten wie in Peru, Pakistan oder Nepal behandle ich fließendes Wasser, das ich in niedrigeren Höhen entnehme, aber auf jeden Fall mit einem Steripen. Der sterilisiert das Wasser mit ultravioletter Strahlung.“
Colin Haley
Selten steht am hohen, unerschlossenen Berg Mineralwasser oder zertifiziertes Trinkwasser zur Verfügung, dafür mitunter viel Schnee und Gletschereis. Aber kann man das Schmelzwasser bedenkenlos trinken? „Klares Wasser heißt nicht ohne Mikroorganismen“, so Wolfgang Schobersberger.
Gletscherbäche können ebenso wie das Eis mit Algen und Kot von Tier oder Mensch verunreinigt sein. Dazu kommt: „Durch die sogenannte globale Destillation reichern sich langlebige Schadstoffe dort an, wo es besonders kalt ist, also in den Polarregionen oder in hochalpinen Gebieten“, wie Ralf Ebinghaus erklärt, der Direktor am Institut für Coastal Environmental Chemistry des Helmholtz-Zentrums Hereon ist. „Da die Schadstoffe dort nur extrem langsam abgebaut werden, gelangen sie mit der Schnee-/ Eisschmelze ins Schmelzwasser.
Außerdem sammeln sich dort auch pathogene Keime, Mikroplastik aus der Atmosphäre und so manches andere an.“ Nicht gerade gesund sind auch die Schwebstoffe in der Gletschermilch. „Das fein geriebene Gestein kann Magen-Darm-Probleme verursachen, etwas, was man am Berg am allerwenigsten braucht“, sagt Wolfgang Schobersberger. Allerdings: „Wenn ich sonst nichts habe, trinke ich vielleicht lieber dieses Wasser als gar keines. Denn stark dehydriert zu sein, ist gegebenenfalls gefährlicher als das Bachwasser. Das muss aber jeder selbst entscheiden.“
Wer plant, (über längere Zeit) Schmelzwasser zu trinken, sollte einen Filter mitnehmen und das Wasser je nach Filter zusätzlich abkochen.
Ganz unabhängig davon, ob man an hohen Bergen unterwegs ist oder mit der Familie beim Wandern, hat Wolfgang Schobersberger noch einen abschließenden Rat: „In Gruppen sollte man unterwegs aufeinander achten. Ähnlich wie bei der Höhenkrankheit kann es sein, dass kollaptisches Verhalten anderen früher auffällt. Wenn jemand schwankt oder plötzlich ganz unsicher geht, ist das ein Alarmzeichen.“