Die häufigsten Ernährungsfehler von Kletterinnen
In deiner Studie hast du die Ernährung von Kletterinnen analysiert. Warum ist es so wichtig, zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden?
Frauen und Männer unterscheiden sich physiologisch in vielerlei Hinsicht, zum Beispiel in Bezug auf Hormonstatus, Menstruationszyklus, Menopause usw. Deswegen ist es wichtig, dass die Forschung diese Unterschiede anerkennt, um Menschen beider Geschlechter angemessen zu repräsentieren und dementsprechende Ratschläge für ihren Sport und ihre Ernährung zu geben. In manchen Fällen mag es keine Unterschiede geben und die Ernährungsempfehlungen mögen gleich sein, aber dies sollte auf fundiertem Wissen und nicht auf Vermutungen beruhen.
Worin besteht der Hauptunterschied in der Ernährung zwischen männlichen und weiblichen Kletterern?
Es gibt Hinweise darauf, dass Athletinnen ein höheres Risiko für eine geringe Energieverfügbarkeit und die damit verbundene Probleme wie das Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S) haben. Der Grund dafür ist, dass sie eine niedrigere Schwelle für Funktionsstörungen haben und daher schneller einen kritischen Punkt erreichen, an dem ihrem Körper nicht mehr genügend Energie und Kohlenhydrate zur Verfügung stehen. Dieser Aspekt ist so wichtig für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit, dass ich ihn als Schwerpunkt für Kletterinnen betrachte.
Unterschätzte Krankheit
Das Relative Energiedefizit-Syndrom (Relative Energy Deficiency in Sport, kurz Red-S) bezeichnet eine geringe Energieverfügbarkeit eines Sportlers als Folge von Übertraining oder einer negativen Kalorienbilanz. Es umfasst auch die Folgeschäden wie den Mangel an Knochendichte, die sekundäre Amenorrhö, also das Ausbleiben der Monatsblutung, sowie die psychische Komponente.
Mehr zum Thema Klettern und Essstörungen in der kommenden bergundsteigen Ausgabe #126.
Welchen Einfluss hat der Menstruationszyklus auf die Ernährung?
Die hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus können sich auf den Stoffwechsel und damit auf die Ernährung von Kletterinnen auswirken. Allerdings sind die bisherigen Erkenntnisse sowohl quantitativ als auch qualitativ begrenzt.
Was ist der häufigste Fehler, den Kletterer in Bezug auf ihre Ernährung machen?
Es klingt sehr einfach, aber ich glaube, dass ein großer Fehler, den viele Kletterer – sowohl Männer als auch Frauen – machen, darin besteht, nicht genug zu essen. Dies mag sich nicht als voll ausgeprägtes RED-S-Syndrom manifestieren, kann aber bei vielen Kletterern zu mangelnder Leistung und mangelndem Fortschritt führen.
Welche Konsequenzen hat eine unzureichende Ernährung – selbst für Hobby-Kletterer?
Eine unzureichende Ernährung kann sich auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit in verschiedenen Bereichen auswirken. Dies kann von fehlendem Fortschritt, Energie und Erholung während des Trainings oder der Klettersessions bis hin zu vollständigen RED-S-Syndromen und den damit verbundenen Funktionsstörungen reichen.
Was sollten Kletterinnen vor, während und nach dem Klettern idealerweise essen?
Ein bis vier Stunden vor dem Klettern sollte eine reichhaltige Mahlzeit eingenommen werden: komplexe Kohlenhydrate, eine Proteinquelle, etwas Fett und verschiedene Gemüsesorten sind ideal. Kurz vor dem Klettern kann ein kleiner Snack mit einfachen Kohlenhydraten eine sinnvolle Ergänzung sein.
Dauert die Session länger als 90 Minuten, sind zusätzliche Kohlenhydrate (30 bis 60 Gramm) von Vorteil. Und nach dem Klettern ist eine sogenannte Erholungsmahlzeit wichtig: Kohlenhydrate, Proteine, Fette und Mikronährstoffe sind ideal. Natürlich hängt die Menge der Mahlzeiten von der Kletterin, der Intensität und der Dauer der Trainingseinheit ab.
Nutritional Considerations for Female Rock Climers: Die vollständige Studie von Mina Leslie-Wujastyk und Edward Gibson-Smith im Journal of Science in Sport and Excercise zum Nachlesen.
In deiner Studie schreibst du, dass Frauen Eisen, Vitamin D und Kalzium zu sich nehmen sollten. Warum ist das so wichtig?
Frauen müssen diese Nährstoffe nicht unbedingt in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich nehmen (mit Ausnahme von Vitamin D in den Wintermonaten), sollten sich aber bewusst sein, dass diese Nährstoffe für weibliche Athleten aufgrund spezifischer biologischer Prozesse (Menstruation, Erhaltung der Knochengesundheit), die Frauen stärker betreffen, besonders wichtig sind. Im Falle eines Mangels sollte dieser durch die Einnahme bestimmter Nahrungsmittel und/oder Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen werden.
Mehr zum Thema: Frauen in den Bergen aus medizinischer Sicht: Tipps für Bergsteigerinnen. Erschienen in der Ausgabe #123
Ist es immer notwendig, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, oder reicht eine gesunde Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Kohlenhydraten aus?
Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sollte von Fall zu Fall geprüft werden und hängt von möglichen Defiziten des Sportlers, seinen Zielen und seinem Trainings-/Kletterplan ab. Einige Kletterer können zum Beispiel von Kreatin profitieren, um die Trainingsqualität und -anpassung zu verbessern, aber für viele ist es nicht „notwendig“. Durch eine ausgewogene Ernährung kann viel erreicht werden, und dies wäre für die meisten Sportler der richtige Ansatzpunkt.
Mina Leslie-Wujastyk klettert seit fast 30 Jahren. Die meiste Zeit davon war sie Profikletterin und wurde unter anderem durch Boulder wie „Pursuit of Happiness“ (8b) oder schwere Sportkletterrouten wie „Mecca Extension“ oder „Bat Route“ (beide 8c) bekannt. Mina ist ebenfalls Ernährungsberaterin und Couch. Foto: Tanja Meredith