Grönland: Abschluss-Expedition DAV Expedkader
OK, jetzt sitzen wir also tatsächlich im Zug nach Kopenhagen. Nichts mehr vorzubereiten, nichts mehr zu organisieren. Von Kopenhagen gehts im Flieger nach Narsasuaq, und von dort mit dem Boot ins Basecamp. Wir sind endlich unterwegs.
Die letzten Tage und Wochen waren noch einmal ganz schön stressig. Neben dem ganz normalen Vorstartstress kam der Umstand dazu, dass Flo und Hermann sehr kurzfristig ihre Teilnahme an der Expedition absagten. Persönliche und familiäre Gründe und ziemlich sicher forderten auch die doch sehr unruhigen Jahre dieses Kaderzyklus schlußendlich ihren Tribut.
Vier Wochen Abenteuer liegen vor uns, drei Jahre Kaderzeit mit genialen Highlights und intensiven Tiefs und Herausforderungen hinter uns.
Die Stimmung lässt sich gut mit einer Mischung aus Vorfreude, Nervosität und Anspannung beschreiben. Bis wir das Leben zu Hause mit gutem Gefühl verlassen konnten, war sehr viel zu tun. Eine sehr spannende Zeit liegt vor uns. Wir betreten nicht nur persönliches Neuland. Wir hoffen auf Erstbegehungen von unberührten Wänden in der Arktis. Zum ersten Mal reist ein DAV Expedkader in den hohen Norden. Wir haben alles selbst organisiert und werden vor Ort komplett autark agieren.
Wir sind gespannt was jetzt kommt und sind uns bewußt, dass wir als Team und als Alpinisten unser Bestes geben müssen.
Willkommen in Grönland
Ein paar Tage später haben wir in zwei langen Erkundungstouren die Wände, die realistisch zu erreichen sind, ausgekundschaftet und auch manche Alternative verworfen, die dem Reality-Check nicht standgehalten hat. Die Distanzen, Gletscherschwund und ein unüberquerbarer Fluss vernichten ein paar Optionen, aber es ist immer noch mehr als genug zu tun.
Die Dimensionen sind atemberaubend, die Landschaft wild aber auch unglaublich schön und beeindruckend.
Hier ist nichts einfach, schnell und unkompliziert zu haben, alles will wohl überlegt sein.
Das Boot kann bei Ebbe nicht direkt beim Basislager anlegen: 800kg Material im Wettlauf mit der Flut bewegen. Bis das Basislager bewohnbar und das Abendessen gegessen war, wars 12 Uhr nachts. Zum Glück wird’s nicht wirklich dunkel.
Der Bach hinter dem Camp hat viel Wasser: ohne Seilbrücke geht da nichts, 2 Stunden weg wie nichts.
Das Gelände ist unheimlich mühsam. Reißende Bäche, Blockgelände, Gletscherschliff, Moränenschutt, dichtes Buschwerk und Heide. Schnelle Höhenmeter gehen anders und ein verstauchtes Sprunggelenk braucht hier wirklich niemand.
Eine Sache ist allerdings einfach: die Saiblinge, Forellen und Lachse beißen gut und einen Fisch aus dem Fjord zu ziehen ist ungefähr so wie noch schnell zum Supermarkt um die Ecke zu gehen. Morgen werden wir etwas regenerieren, Material sortieren und Pläne schmieden. Danach gehts in sehr wilde Wände in einer Wahnsinnsumgebung.
Hier gibt‚s nichts umsonst
Wir haben einen Gang hochgeschaltet. Kurbi und ich haben begonnen, eine Neutour an einer Wand direkt über dem Fjord zu projektieren. Seillänge für Seillänge arbeiten wir uns höher. Der Fels ist etwas „heterogener“ als gedacht. Bombenfester Granit wechselt mit sehr heiklen Passagen mit losen Blöcken in wirklich allen Größen und brüchigem Gestein. Manchmal sind die Risse vermoost und darunter geschlossener als erwartet. Ein fast durchgewetztes Seil nach einem Pendler beim Jümaren erinnert uns eindrücklich daran, dass wir hier auf jedes Detail achten müssen.
Wetterpoker im Hotel Tinniertuup
Tom und Fabi haben währenddessen noch andere Probleme. Die beiden haben sich große Wände in einem Hochtal in den Kopf gesetzt. Eine Traumkulisse für Alpinisten. Eine Riesenwand reiht sich an die andere, umrahmt von Gletschern, die vom Inlandeis herunterziehen. Quadratkilometerweise Premiumgranit und nur eine Handvoll bestehende Routen.
Der Nachteil: Das Wetter interessiert sich nicht für unseren Hightech-Bericht über Satellit. In der ersten Zeit hängen die Wolken genau in der Höhe des Tals und sehr regelmäßig halten Regenschauer die Wände in unkletterbarem Zustand. Ein erster Versuch wird erfolglos abgebrochen. Die gute Nachricht: es gibt diese unberührte, sehr ambitionierte Linie, die beim ersten Wetterfenster angegangen werden soll. Noch ist genug Zeit.
In den nächsten Wochen werden Tom und Fabi noch die ein oder andere Nacht in ihrem „Hotel Tinniertuup“ verbringen. Bei Trivago wird man es wohl nicht finden, als Ausgangspunkt für Touren dort und mit einigen Annehmlichkeiten ausgestattet, ist es aber ideal. Ein weit überhängender Block schützt gegen Wetterkapriolen, ein Gletschersee lädt zur Erfrischung ein, die Aussicht ist unschlagbar, das Sportprogramm mehr als umfangreich. Lediglich die Mücken sorgen für Punktabzug. Wenn nur eine Nasenspitze aus dem Schlafsack spitzelt, wird sie attackiert. Dafür ist die Küche gut mit abwechslungsreichen Mahlzeiten bestückt. Chicken Tikka Masala, Mousse au Chocolat oder Griesbrei es fehlt an nichts.
Basislager
Trotz diesen Widerständen ist die Stimmung gut, wir haben noch genug Zeit und genau diese Widerstände sind es, die uns wachsen und lernen lassen. Das Team funktioniert, jeder trägt seinen Anteil bei und jeder hat seine alpinen Herausforderungen gefunden. Das Basislager mit seiner unglaublichen Umgebung und der guten Küche trägt seinen Teil bei.
Ein Plan geht auf
Ein erster mental sehr wichtiger Schritt ist geschafft. Kurbi und mir ist der Wanddurchstieg des 500 Meter hohen Seacliffs gelungen. Wir haben uns vom doch recht unsicheren Wetter nicht beirren lassen und haben Tag für Tag neue Seillängen hinzugefügt. Durch die Nähe zum Basislager waren wir flexibler und konnten auch kurze Wetterfenster nutzen. Allerdings bedeutet diese Strategie: viel Jümaren! Zustieg, zwei, drei Längen erstbegehen, wieder runter. Man kommt voran, es kostet aber viel Energie. Während unserem Arbeiten werden wir handwerklich immer besser und auch das Team funktioniert immer geschmeidiger. Am Ende ist dafür die Freude umso größer. Gegen alle Widerstände: Geschafft!
Die nächsten Tage wollen wir versuchen, alle Längen frei zu klettern. Trotz Expeditionsumgebung sind wir immer noch Kletterer und technisches Klettern ist immer nur ein Notbehelf. 7/A2 ist uns nicht gut genug.
Ein guter Routenname könnte „Der alte Mann, der junge Mann und das Meer“ sein, frei nach Hemingways Meisterwerk.
Bis wir wieder im Basislager sind, ist es spät geworden und nicht nur die Akkus der Bohrmaschine sind ganz schön leer. Die Arbeit, die Anspannung und das kalte und feuchte Wetter haben uns ziemlich ausgezehrt.
Wie fühlt es sich an, eine Route im Vorstieg erstzubegehen?
Ein Gedankenspiel:
Mancher kennt die Unsicherheit bei einem Onsight in einem unbekannten Klettergebiet. Alles fühlt sich ungewohnt und neu an, eine gewisse Unsicherheit schwingt mit.
Viele kennen das Klettern einer unbekannten Alpinroute, alles noch mal unsicherer und es kommen weite Abstände, schlechterer Fels und schlechtes Sturzgelände hinzu.
Und jetzt nehmen wir noch Topo und Führer, Internet und Tipps von Bekannten weg. Du weißt absolut nicht was kommt. Jeder Meter bringt Überraschungen, manchmal gute, manchmal auch nicht so gute. Du weißt noch nicht mal ob es überhaupt geht und wann ein nächster Sicherungspunkt kommt.
Zum Schluß verlegen wir das Ganze in eine unberührte Wand am Polarkreis, in unserem Fall bei ungemütlichem Wetter.
Gemütlich ist anders, aber das Gefühl, wenn es nach und nach aufgeht, ist einfach der Hammer! Geschlafen haben wir nach den Tagen in der Wand verständlicherweise gut.
2 Tage später: Freiklettern
Morgens sah es wettermäßig noch nicht so aus, aber am späten Vormittag klarte es auf und wir legten doch noch los. Es hat Vorteile, wenn es nicht wirklich dunkel wird und man „schnell“ vor Ort ist. 9 Stunden später sind alle Längen befreit. Insgesamt etwa 450 Meter unterschiedlichster Kletterei bis zu richtig guten Zügen im oberen achten Grad weit über dem Fjord… .
Das Klettern fühlt sich gut an, mit jeder Länge geschmeidiger, selbstbewußter. Am Ende sind wir zwar müde, wissen aber auch: „da geht noch mehr!“.
Zuerst merken wir aber auch, dass das Pensum der letzten Tage ganz schön gezehrt hat. Es werden zwei (!) Ruhetage geplant, um dann eine zweite Erstbegehung mit frischer Energie starten zu können. (Es wurden drei, wir hatten Wetterpech und bei Sturmwinden in eine Neutour einzusteigen, schien uns am Einstieg doch nicht wirklich ratsam…)
Basislager
An den freiwilligen und unfreiwilligen Ruhetagen beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Dingen. Neben Essen und Schlafen natürlich. Die meisten Dinge haben damit zu tun, eine bescheidene Komfortzone, eine wohltuende Ordnung zu schaffen, das ist wichtig. Die Küche wird optimiert, Nahrungsmittel sortiert und rationiert. Manches muss repariert und getrocknet werden. Wir tauschen Bücher, haben lange und gute Unterhaltungen. Nicht ganz klar ist noch, ob das Baden im Gletscherbach oder im Fjord kälter ist. Die Angelrangliste führt der Bernhard an. Unheimlich wertvoll sind auch die Einzelzelte. Ein bisschen Privatsphäre, eine wind- und mückenfreie Minizone. Um es klar zu sagen: trotz allem Positiven – eine Expedition bleibt immer noch eine Expedition und man sollte tunlichst mit den Ressourcen haushalten, um eine gute Zeit und wenn möglich sogar persönliche Erfolge mitzunehmen. Nicht wenige scheitern genau hier oder scheuen sich schon im Vorfeld. Sich für eine bestimmte Zeit auf ein sehr einfaches Leben in wilder Umgebung einzulassen, viel Zeit mit sich und seinen Gedanken zu haben und dann, wenn es drauf ankommt, Leistung abzurufen.
Nach und nach gehen die frischen Lebensmittel und einige schmackhafte Highlights aus. Wir müssen mehr und mehr zaubern, um gute Nervennahrung herzustellen.
Aber solange der Bernhard immer neue Fischgerichte entwickelt, Lachssuppe zum Beispiel, kann von Leiden noch keine Rede sein.
Tom und Fabi, Go Time!
Gestern kamen zwei Männer ins Basislager, die schauten Tom und Fabi zum Verwechseln ähnlich. Nur irgendwie dünner, bisschen ausgetrocknet und vor allem ziemlich verschrammt. Eigentlich erkennt man nur am Leuchten in ihren Augen und am sehr breiten Grinsen, dass es ihnen trotz ihrem etwas heruntergekommenen Aussehen gut geht.
Spass beiseite. Tom und Fabi sind gesund und munter von 5 Tagen unter und am Tinniertuup zurück. Sie mussten lange auf ein Wetterfenster warten. Jetzt konnten sie eine gigantische Erstbegehung klettern.
Über 1000 Meter anspruchsvolle und abwechslungsreiche Kletterei bis in den siebten Grad.
26 Seillängen. Alles Trad. Bester Alpinstil.
Über 24h nonstop.
Die beiden haben viel investiert. Sie haben lange in ihrem Camp gewartet und dann im entscheidenden Moment alles gegeben. Ausbildung, Training, Ausrüstung, Erfahrung, das ist alles gut und wichtig. Am Ende gehts aber auf Expedition um eins: du musst geduldig und hartnäckig abwarten und dann die ein, zwei Chancen nutzen, die sich ergeben. Das können nicht viele. Ab Vortag wurden die ersten Längen fixiert und schonmal das Gelände darüber sondiert, um dann einen möglichst guten Start zu haben. Dann wird nur noch durchgezogen.
Nach vielen Stunden Kletterei auch noch sehr viele Abseilmanöver durch die -zum Glück kurze- arktische Nacht zu meistern, muss extrem fordernd gewesen sein. Fabi hörte gegen Ende fremde Stimmen aus dem Kar, was ihm doch Sorgen machte. Er schob es auf die Dehydration. Was wir erst später auflösten: mittlerweile war eine britische Seilschaft vor Ort angekommen. Fabi war zwar sicher ziemlich platt, Halluzinationen hatte er aber zum Glück noch keine.
Die Route wir „For our gone friends“ heißen.
Am Abend öffnen wir eine Flasche Whisky, die uns Anderls Eltern mitgegeben haben.
Zum Wohl Anderl und zum Wohl liebe Freunde. Es sind leider zu viele, die zu früh gegangen sind…
Kurbi und Chris: 4 Meter entscheiden
Die letzten Tage ging’s Schlag auf Schlag. Und am Ende entschieden ein paar Meter.
Nach 3 Ruhetagen waren wir hochmotiviert und entschlossen, noch eins drauf zu setzen. Eine zweite Erstbegehung, in besserem Fels, höheren Schwierigkeitsgraden und noch cleaner.
Zuerst läuft es gut, drei neue Seillängen gelingen ohne Probleme, wir machen Meter. Dann entscheiden wir uns für eine Linie durch einen markanten, überhängenden Pfeiler, geschlossener, orangegrauer Granit. Ab den ersten Metern ist klar: jetzt ist „Spaß Ende“. Wir müssen sogar in die Technotrickkiste greifen, um durch zu kommen. Es gibt Griffe und Tritte, aber ob uns die reichen? In uns beginnt das Klettererherz schneller zu schlagen. Gehen diese Meter frei? Wenn ja, wär´s die erhoffte, schwere Erstbegehung auf Expedition, wenn nicht… .
Vorerst seilen wir ab, das Wetter ist mies, die Akkus leer, die Finger zu kalt und müde um einen schweren Boulder zu klettern. Denn nichts anderes ist es, richtig steil, kurz und richtig fies. Millimeter-Leisten im Sprühregen mit der Daunenjacke? Das wird heute nix.
Beim nächsten Anlauf zwei Tage später konzentrieren wir uns zuerst auf die Crux und wollen erst dann die Linie weiterführen, wenn klar ist, dass es frei geht.
Eine Bouldersession wie im heimischen Klettergarten nimmt ihren Lauf, nur in deutlich abgelegener und exponierterer Lage.
Es fehlen noch drei Züge, ein Tritt bricht aus.
Neue Lösung, noch zwei Züge.
Es ist unheimlich schwer aus dem Expeditions-, Alpin- und Durchhaltemodus auf knallharte Züge umzuschalten. Noch ein Zug fehlt.
Dann fällt das letzte Puzzlestück an seinen Platz. Alle Züge gehen, nicht leicht, aber sie gehen. Eine unscheinbare Unebenheit reicht, um den Boulder kletterbar, unsere Route eine Freikletterroute werden zu lassen.
Der Rest der Länge, steiles Tradgelände inklusive einer heiklen 5-Meter-Querung zum Stand, ist dagegen Pflichtprogramm.
Jetzt noch durchsteigen. Die ersten beiden Versuche scheitern. Die Züge sind schwer, fehleranfällig und fordern 100% Einsatz.
Die Sonne kommt um die Ecke, leichter Wind streicht vom Fjord die Wand hoch. Gute Energie! Nach einer guten Pause sagt Kurbi plötzlich: „des moch I jetz oafoch“. Er bindet sich ein und drei Minuten später, in denen Kurbi alles abbrennt, was im Tank ist, steht er am Stand.
Pure Freude und echte Erleichterung machen sich Luft. Klettern kann so genial sein. Ein sehr verdienter Moment!
Ich kann es leider nicht direkt nachmachen. Wir beschließen, noch eine weitere Länge erstzubegehen. Danach treten wir den Rückzug an.
Am nächsten Morgen -man hat uns schon mal frischer gesehen- rufen wir über Satellit das Wetter ab. Nur noch heute gut, dann ist es fraglich, ob wir noch durchkommen.
Also wieder rein. Wir müssen ganz tief graben um noch die Kraft aufzubringen, aber wir können die Route fertigmachen.
Sie ist tatsächlich nochmal schöner und schwerer geworden, hart Neun.
Die Stimmung ist richtig gut und irgendwie keimt bei mir der Entschluss: „ich probier´ jetzt die Schlüssellänge bis ich sie knacke, die Chance kommt nicht wieder“. Nochmal aufsteigen werden wir wohl nicht mehr.
Ich hab keine Ahnung wie, aber mir gelingt die Länge im ersten Versuch. Scheinbar bin ich gut genug geklettert, ich weiß von nichts mehr, so tief war ich im Tunnel.
Ich bin dankbar für diese Chance, ein turbulentes Kaderjahr und eine erfolgreiche und schöne Expedition mit einem persönlichen Erfolg abzuschließen. Klar, ich bin als Trainer eigentlich beruflich hier, aber man muss schon selber auch brennen, um diesen Job machen zu können. Da lässt man eine solche Gelegenheit nicht verstreichen.
Wir sind so zufrieden und happy, wie es Kletterer nur sein können. Die 2 Stunden Bucklerei danach, das Abbauen der Fixseile, Abseilen und Rücktransport zum Basislager spielt keine Rolle mehr. Was für eine Zeit. Wir hinterlassen zwei fantastische Erstbegehungen. Wir haben uns Schritt für Schritt gesteigert, sind an der Aufgabe gewachsen und konnten das abrufen, was wir uns davor hart erarbeitet haben.
Tom und Fabi, Schlaf wird überbewertet
Eine gute Woche und ein paar Tage nach ihrem Erfolg am Tinniertuup IV entscheiden sich Tom und Fabi für eine zweite Runde. Sie beziehen noch einmal für fünf Tage ihr geliebtes Hotel Tinniertuup. Neben der Nahrung haben sie große Pläne im Gepäck.
Nach ihren Erfahrungen in der ersten Runde gibt es einen Strategiewechel: es bleibt bei Alpinstil, die Tageszeit spielt aber keine Rolle mehr, dafür wird dem persönlichen Zustand nach und bei ausreichend gutem Wetter eingestiegen und durchgeklettert. Die drei Stunden in denen ansatzweise Dunkelheit herrscht, werden für eine kurze Pause genutzt oder es wird einfach weitergeklettert.
Als Erstes haben sie sich für eine Besteigung des höchsten Gipfels der Gruppe, dem Hermellnberg entschieden. Die „leichteste“ Route ist mit etwa 900 Klettermetern bis 7+ und recht anhaltender Kletterei im vierten und fünften Grad sein Nordostgrat, der Rest sind zum Teil unberührte Wände bis zu 1200 Metern… . Die Landschaft ist fast noch atemberaubender als die alpinen Dimensionen. Der Hermellnberg ist eingebettet von wilden Gletschern, durch die exponierte Lage erstreckt sich der Blick weit über Südgrönland und das Inlandeis.
Fabi beschreibt im Nachhinein die Situation am Gipfel, nach einer durchkletterten „Nacht“ als fast ein bisschen surreal. „Durch den Wind am Grat war es uns bei dieser Tour deutlich kälter als davor und wir waren ja schon ganz schön lang unterwegs, die Route entwickelte sich als deutlich anspruchsvoller als die (von britischem understatement) triefende Beschreibung vermuten lies, HVS (hard very severe) eben… . Dann, gegen 4 Uhr morgens ging über dem Inlandeis die Sonne auf und der Wind lies etwas nach. Das war so schön, dass wir unsere Müdigkeit und die Sorgen um den Abstieg für ein paar Momente vergessen haben.“
Nach 17 Stunden waren die beiden wieder am „Hotel“, um die wohl zweite Begehung des Grates und unvergessliche Eindrücke reicher.
Trotz der sich einschleichenden Erschöpfung gab es eine andere Tatsache, die sich ins Bewusstsein sein drängte: die Zeit hier läuft ab.
Deswegen wird direkt am nächsten Tag ein Versuch am Tinniertuup II gestartet, der aber in einem Wetterumschwung recht nass endet.
Klamotten und Wand müssen abtrocknen, die letzten Energiereserven zusammengekratzt werden. Für eineinhalb Tage reicht der Essensvorrat optimistisch gerechnet noch, dann schließt das Hotel Tinniertuup für lange Zeit.
Deswegen geht es am nächsten Morgen wieder in die Wand.
Anfangs geht es dank den Vorerfahrungen zügig, simultan klettern die beiden über den Vorbau bis zum Beginn der steilen Kletterei.
Wenn etwas während der Kaderzeit eigentlich nie vorkam, war, dass Fabi mal nicht mehr motiviert war zu klettern. Die Route Scorpion Groove, die sie in den folgenden Stunden wiederholten**, brachte ihn dann doch sehr nah an diesen Zustand. 800 konstante und anspruchsvolle Klettermeter bis etwa 8-, nie unter 6, alles selbst abzusichern, bei schwerer Wegfindung… . Die Tage nach dieser 23 Stunden Aktion und der Rückkehr ins Basislager kamen verständlicherweise von Fabi und Tom keine weiteren Tourenvorschläge mehr, nur Menüanfragen.
**) Das mit den „Wiederholungen“ ist so eine Sache. Wir hatten im Vorfeld intensiv recherchiert und konnten lediglich ein paar Informationen über Routen einer britischen Expedition finden, die 2007 im Gebiet war und sieben Neutouren hinterlassen hat. Allerdings gab es auch dazu außer einem Text und einigen Wandphotos keine Details. Die Briten waren, wie Tom+Fabi auch nur trad und clean unterwegs und so fanden sich unterwegs bis auf ein paar Fixkeile keinerlei Spuren. Man darf also nicht den Vergleich zu einer eingerichteten Tour mit Topo ziehen, viele, viele Klettermeter fühlen sich eher nach einer Erstbegehung an… .
Abschied
Nach Abschluß der Unternehmungen sind nur noch wenige Tage bis zur Abholung übrig, die Zeit scheint, wie immer gegen Ende einer Reise, zu fliegen. Ein letztes Highlight gönnen wir uns noch. Wir biwakieren zusammen am Gipfel unseres Hausbergs. Blick über wabernde Nebel über dem Fjord, Nordlichter und unglaubliche Stimmungen inklusive. Diese Eindrücke runden vier Wochen ab, die wir wohl nicht mehr vergessen werden. Eine sehr gute Zeit mit tollen alpinen Erfolgen geht zu Ende. Wir haben unglaublich viel erlebt, gelernt und sind an manchem Tag über uns hinausgewachsen.
Nach drei Wochen in Abgeschiedenheit und Eigenverantwortung ist die Rückreise mit in einem beengten Flugzeug und überfülltem Zug ein harter Kontrast und jedem ist anzumerken, wie er sich innerlich nochmal zurück begibt. Vielleicht an den Gipfel des Hermellnbergs im Sonnenaufgang, vielleicht an den Stand nach der Schlüssellänge, vielleicht aber auch zu einem einfachen Abendessen mit Freunden im Basislager oder vielleicht einfach nur an den Strand des Fjords, die Füße im eiskalten Wasser und den Seewind im Gesicht.
Erstbegehungen
- For our gone friends, Tinniertuup IV (1000m / VII+)
- Der Alte Mann, der Junge Mann und das Meer (500m / VIII)
- GG-22-02 (500m / XI+)
Wiederholungen
- Hermellnberg Nordostgrat (900m / VII+)
- Scorpion Groove, Tinniertuup 2 (800m / VIII- / E3 5c)
Außerdem Erkundungstouren, Besteigungen einiger Gipfel der Umgebung
Teilnehmer
- Fabian Hagenauer – Rosenheim
- Thomas März – Burghausen
- Korbinian Grünauer – Garmisch
- Trainer Christoph Gotschke – Kaufbeuren
- Expeditionsarzt Dr. med Bernhard Blimsrieder – Tegernsee