Ich gehʼ mit meiner Laterne: Über Nachtskitouren
Jedes Jahr am letzten Sonntag im Oktober wird die Uhr eine Stunde zurückgestellt; die Winterzeit beginnt. Um fünf Uhr am Nachmittag ist es meist stockfinster und für Freizeitaktivitäten im Freien schaut es dann im wahrsten Sinne des Wortes düster aus. Training nur noch indoor oder überhaupt erst wieder erst im Frühjahr? Schwarze Aussichten. Nicht doch! Mit einer guten Stirnlampe schlägt man dem späten Sonnenaufgang und frühen Sonnenuntergang im Winter ein Schnippchen und taucht den sonst finsteren Weg oder die unbeleuchtete Piste oder Rodelbahn in ein kleines Flutlicht.
Egal ob für Nachtskitourengeherinnen, Rodlerinnen, Trailrunner oder auch Radfahrerinnen, die Lampe muss eines können: das Gelände perfekt erhellen, damit man alle Hindernisse und Unwegsamkeiten frühzeitig erkennen kann und auch den weiteren Wegverlauf im Auge behält. Um allen Ansprüchen gerecht zu werden, haben sich die Sportartikelherstellerinnen so einiges einfallen lassen: Minimalgewicht, Hochleistungsakkus mit einer Leuchtdauer von 800 Stunden, Leuchtweiten bis 300 m und Leuchtstärken von bis zu 3.000 Lumen (vereinzelt sogar bis zu 5.000 Lumen).
Zum Vergleich: Eine normale Kerze bzw. ein Teelicht strahlt mit 10 Lumen, ein Beamer mit 800–2.000 Lumen und beim Auto strahlen die Halogenscheinwerfer mit 55 Watt, das entspricht ungefähr 1.200–1.500 Lumen, Xenonscheinwerfer mit 35 Watt, das entspricht 3.000 Lumen.
Des einen Freud des anderen Leid
Was bei den Früh- bzw. Feierabendsportler*innen das Herz vor Freude höher schlagen lässt, beschleunigt auch bei den Wildtieren den Puls – allerdings vor Angst. Diese Hochleistungsstirnlampen ermöglichen es, einen sehr weiten Bereich sehr hell auszuleuchten und somit weit über den genutzten Bereich hinaus für Störung zu sorgen. Es wird nicht nur die unmittelbare Spur, der unmittelbare Weg oder die Piste ausgeleuchtet, sondern auch die Bereiche daneben.
Wie z. B. das sichere Unterholz oder schutzbringende Baumgruppen. Viele Wildtiere verweilen tagsüber in ihren Einständen und wagen sich nur bei Dämmerung und Dunkelheit auf die offenen Flächen. Dies zeigt auch eine Studie mit besendertem Rotwild im Schwarzwald. Untertags verharrt das Rotwild im Wald, sucht Schutz im dichten Baumbestand und kommt erst in der Dunkelheit auf die Flächen, die tagsüber von Erholungsuchenden stark genützt werden.
Viele unserer heimischen Wildtiere wie Füchse, Rot- und Rehwild oder Wildschweine wären grundsätzlich tagaktive Tiere, aber da tagsüber viele Menschen unterwegs sind, haben sie ihren Lebensrhythmus entsprechend geändert und ihre Aktivitäten wie Nahrungsaufnahme und Partnersuche in die Nacht verlegt. Sie weichen uns Menschen sozusagen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich aus. Dringen wir nun mit unseren Spezialausrüstungen in diese Randzeiten ein, kommen die Tiere wahrlich in Bedrängnis.
In den Dämmerungszeiten finden die Tiere die notwendige Ruhe, um Nahrung aufzunehmen, die sie vor allem in der winterlichen Notzeit so dringend für ihr Überleben brauchen. Der helle und weite Lichtkegel der Hightech-Stirnlampen verursacht einen großen Störungsradius und zwingt die Tiere, in der Deckung zu bleiben oder gar tiefer in den schützenden Wald zu flüchten. Dadurch fehlen ihnen wichtige Phasen für die Nahrungsaufnahme und für die Energiegewinnung, schlimmer noch: Die Energie wird durch eine anstrengende Flucht im Schnee aufgebraucht. Untersuchungen von Schneehasenkotkügelchen zeigten, dass Schneehasen, die ihren Lebensraum in intensiv genutzten touristischen Regionen haben, deutlich gestresster sind als ihre Kollegen in ruhigen Gefilden. Wissenschaftler*innen sammelten dazu in drei unterschiedlich touristisch genutzten Räumen (stark, mittel, wenig) Kotkügelchen von Schneehasen ein und analysierten diese im Labor.
Die Auswertungen zeigten, dass im Kot von Schneehasen, die sich in intensiv touristisch genutzten Räumen bewegen, deutlich höhere Stresswerte verzeichnet werden konnten als im Kot von Hasen, die sehr ungestört leben. Beobachtet wurde auch, dass sich das Verhalten von gestressten Hasen veränderte: Sie ruhten weniger, verwendeten weniger Zeit für Fellpflege und verbrauchten in der Folge deutlich mehr Energie. Dieser Mehrverbrauch an Energie muss über verstärkte Nahrungsaufnahme kompensiert werden, was durch größere Störungen aber immer wieder verhindert wird. Ein unaufhörlicher und oft tödlich endender Kreislauf.
Dieses Beispiel zeigt, wie gravierend Störungen vor allem in den Wintermonaten bei klirrender Kälte und geringem Nahrungsangebot sind.
Alle Wildtiere, egal ob Eichhörnchen, Schneehase, Rotkehlchen oder Rothirsch, schalten auf Grund von Futterknappheit und Kälte in den Energiesparmodus. Viele Tiere reduzieren dazu den Stoffwechsel und bewegen sich nur, wenn es unbedingt erforderlich ist. Fluchten wegen Störungen kosten unglaublich viel Energie und können bei Wiederholung zum Tod führen.
Realitätscheck: Skitouren in Tirol im freien Gelände
Seit dem Winter 2014/15 betreibt das Land Tirol im Rahmen des Programms „Bergwelt Tirol – Miteinander Erleben“ ein Messnetz zum Monitoring von Outdoorsportarten. Zur Messung werden LVS-Checkpoints CP2011 der Firma Girsberger eingesetzt.
Die Erfassung der Frequenzen (mit Datum und Uhrzeit) erfolgt mit dem integrierten LVS-Sensor, der vorbeigehende Skibergsteiger- *innen erfasst, die ihr LVS-Gerät aktiviert haben. Insgesamt konnten die Daten von 29 Messstationen (Abb. 1) mit 331.3236 Signalen ausgewertet werden. Bis zur Stunde 0 (Sonnenaufgangsstunde = 30 min vor und 30 min nach Sonnenaufgang) beträgt der Anteil an der Grundgesamtheit (= 165.662 gegangene Touren) 8,36 %, das entspricht 13.842 Touren.
Ab der Stunde 0 (Sonnenuntergangsstunde = 30 min vor und 30 min nach Sonnenuntergang) beträgt der Anteil an der Grundgesamtheit (165.662 gegangene Touren) 2,73 %, das entspricht 4.517 Touren. Bei Sonnenaufgang wurde dreimal so häufig gegangen/gefahren wie bei Sonnenuntergang.
Abbildung 3 zeigt, dass insgesamt 11 % der Skitouren in der Früh oder am Abend in die Dämmerungszeit hineinreichen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig in den Morgenstunden. Der zeitige Aufbruch bei Frühjahrsskitouren ist aus Sicherheitsgründen und auf Grund der besseren Schneequalität am Vormittag nachvollziehbar, überschneidet sich aber dennoch mit der frühmorgendlichen Aktivität von Wildtieren.
Die fast 3 %, die in der abendlichen Dämmerung am Weg sind und in die Nacht geraten, sind jedoch sowohl aus Sicherheitsgründen als auch vom ökologischen Gesichtspunkt her bedenklich. Wer Wildtiere im Winter nicht allzu sehr beunruhigen will, sollte Touren in der Dämmerung und in der Nacht im freien Gelände vermeiden. Wer sich outdoor fit halten will, dem sei zu den extra dafür freigegebenen Pistentouren geraten.