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logroll lawine
04. Feb 2024 - 14 min Lesezeit

Notfall Alpin (4/9): Erste Hilfe nach einer Lawinenverschüttung – Time is brain!

Im 3. Teil der Serie Notfall Alpin ist Philipp Dahlmann auf die Funktionsweise und korrekte Anwendung des AED eingegangen. In diesem vierten Beitrag von „Notfall Alpin“ geht es darum, wie wir einer verschütteten Person am besten helfen können – Stichwort: Sauerstoff zum Hirn oder time is brain!

alle Artikel der Serie: Notfall Alpin

Jedes allgemeine Ablaufschema zu alpinen Notfällen beinhaltet den Punkt „Verletzte bergen“. Sei es aus unwegsamem Gelände, aus einer Spalte oder eben nach einer Lawinenverschüttung. Weil der Ansatz von Notfall Alpin ein „ganzheitlicher“ ist, werden wir bei solchen speziellen Situationen neben den angebrachten Erste-Hilfe-Maßnahmen auch die notwendigen Bergemaßnahmen thematisieren bzw. kurz wiederholen. Denn mit ihnen starten nicht nur unsere Bemühungen, verletzte Menschen zu versorgen, von ihnen hängt manchmal auch der letztendliche Erfolg in hohem Maße ab.

Suchraum festlegen nach Lawinenabgang
Abb. 1 Gesamtsituation erfassen und primären Suchraum festlegen. Illustration: Georg Sojer.

Wie z.B. nach einer Lawinenverschüttung, wo die Uhr sprichwörtlich tickt … Wir wiederholen das grundlegende Suchschema nach einer verschütteten Person (Abb. 1, 2). Für den Großteil der „Skifahrerlawinen“ sollte das sehr gut funktionieren, vorausgesetzt, die etablierten Standards wie LVS-Check, Abstände, Einzelfahren, gute Sammelpunkte, grundlegende Ausbildung und Ausrüstung sind erfüllt. Uns ist leider die Realität bewusst, dass selbst dieses einfache Szenario nicht von allen Skitourengehern gelöst werden kann. Aber das ist ein anderes Thema.

Eine:r übernimmt das Kommando und ist Leader und checkt

  • ob für die Retter eine akute Gefahr besteht (Absturzgefahr, nicht entladene Lawinenhänge, …)
  • wie viele Personen verschüttet sind
  • wo der primäre Suchraum liegt (Abb. 1, Verlängerung von Erfasssungs- und Verschwindepunkt Richtung Ablagerung)
  • wer einen Notruf absetzt
  • wer die Suche durchführen soll
  • dass alle anderen ihr LVS auf „Aus“ schalten sowie Schaufel/Sonde zusammenbauen

Weil die Kommandantin vermutlich die am besten Ausgebildete ist, kann es durchaus sein, dass sie auch die Verschüttetensuche übernimmt. Ob man sofort Schaufel und Sonde aus dem Rucksack nimmt und zusammenbaut, hängt von der Situation ab (komme ich von oben mit angezogenen Skiern – eher nicht, bin ich zu Fuß unterwegs – eher schon), auf alle Fälle sollten spätestens vor Beginn der Feinsuche (bei ca. 5 m) Schaufel und Sonde einsatzbereit in einer Hand des Suchenden sein!

„Airport Approach“ bei Verschüttetensuche nach Lawine
Abb. 2 Verschüttetensuche mittels „Airport Approach“ nach Manuel Genswein. Illustration: Georg Sojer.

Kurzen Notruf absetzen

Prinzipiell wird hier der Notruf abgesetzt und die Rettungskette in Gang gesetzt. Gerade bei einer Lawinenverschüttung mit zu erwartenden Komplikationen (Bewusstlosigkeit, Reanimation) geht es darum, dass so rasch als möglich professionelle Hilfe vor Ort ist, weil unsere Ressourcen hier beschränkt sind.

Ob und „wie ausführlich” hier ein Notruf abgesetzt wird, hängt von der Situation ab. Dabei sind zwei Punkte entscheidend:

  • Mobiltelefon-Empfang. Kann direkt vom Standort aus telefoniert werden, wird auf jeden Fall die beste Notrufnummer angerufen. Bin ich alleine, werde ich dieses Gespräch so kurz als möglich halten, d.h. nur mitteilen WO? WAS? passiert ist. Ich unterbreche den Frageablauf des Disponenten und beende das Gespräch, um mit der Suche zu beginnen.
  • Gruppengröße. Worst Case ist die Zweier-Gruppe, von der einer verschüttet wird. Ist nun kein unmittelbarer Telefonempfang vorhanden, werde ich es mir nicht leisten können, den Standort zu wechseln oder Hilfe zu holen. Hier muss sofort mit der Suche begonnen werden. Sind andere Gruppen in der Gegend, werde ich natürlich durch Rufen etc. auf mich aufmerksam machen, um die Anzahl der Retter zu erhöhen und damit die Überlebenschance des Verschütteten zu optimieren versuchen. Kann ich oder niemand der Anwesenden mit dem LVS tatsächlich sicher suchen, dann ist bereits jetzt ein Notruf – auch wenn damit mehr Zeit vergeudet wird – zwingend notwendig. Aber diese Situation sollte nicht vorkommen (auch nicht in geführten Gruppen!).

Im Idealfall ist nur eine Person verschüttet und mehrere Retter stehen zur Verfügung. Damit ist die komplette Situation schlagartig günstiger und entspannter: der Leader kann sich ausschließlich auf diese Rolle konzentrieren und hat mehr Ressourcen zur Verfügung. So kann er ohne verfügbaren Handyempfang z.B. auch jemanden (1-2 Personen) zum Alarmieren wegschicken. Auch das schnellstmögliche Herbeiholen eines AED aus der nächsten Hütte oder Liftstation kann eine entscheidende Rolle spielen – mehr dazu später.

Verschüttetensuche

SIGNALSUCHE.

Mit Auge, Ohr und LVS bis zum Erstsignal!

  • von oben, von unten, mit oder ohne Skier
  • die zu wählende Suchstreifenbreite ist geräteabhängig und auf der Rückseite jedes LVS aufgedruckt (suchen mehrere Personen mit verschiedenen LVS-Geräten parallel, dann 20 m wählen)
  • bei der Signalsuche sucht man die Oberfläche sehr schnell (Laufschritt) nach sichtbaren Teilen ab; die Augen sind daher auf die Lawinenablagerung und nicht auf das LVS-Display gerichtet
  • bei der ersten Anzeige am LVS laut Kommando „Signal“ rufen, um alle anderen über den Suchfortschritt zu informieren

GROBSUCHE.

Vom Erstsignal schnell bis 5 m!

  • dem Richtungspfeil am LVS-Display rasch folgen  die Entfernungsangabe muss sinken (ansonsten 180° in die andere Richtung laufen)  bei der Anzeige 10 laut das Kommando „10 Meter“ rufen und deutlich langsamer werden  spätestens bei ca. 5 m Ski ausziehen und Schaufel und Sonde zusammenbauen
  • bei der Anzeige 3 laut das Kommando „3 Meter“ rufen und mit dem LVS auf die Schneeoberfläche hinuntergehen
  • bevor die Richtungspfeile verschwinden, extrem präzise die letzte Richtungsangabe bestimmen und dieser in gerader Linie folgen

FEINSUCHE.

Langsam und direkt an der Lawinenoberfläche!

  • LVS langsam und direkt an der Oberfläche bewegen (auf die Knie gehen!)
  • LVS nicht mehr drehen  beim kleinsten angezeigten Wert einmal einkreuzen (90° abbiegen) und
  • geringste Entfernungsangabe merken (!) und mit Schaufel markieren (in den Schnee stecken)
  • dieser Wert ist die maximale Entfernung zum Verschütteten (er kann nicht weiter weg sein)
  • eigenes LVS ausschalten (alternativ Rettungs-/ Backup-Send) bzw. sofern es nur einen Verschütteten gibt, auf Senden schalten und in einer verschließbaren Tasche rasch verstauen

PUNKTORTUNG.

Systematisch und schnell mit der Sonde!

  • bei der Markierung d.h. Schaufel beginnen
  • im Abstand von ca. 25 cm (Schuhlänge) kreis-/ spiralförmig nach außen sondieren
  • die Sonde wird rasch in die Schneedecke hineingestochen und wieder herausgezogen  dringt die Sonde bei einem Stich deutlich weniger tief ein, dann ist man auf den Verschütteten gestoßen  Sonde stecken lassen und laut Kommando „Sondentreffer“ rufen

Systematisches Ausschaufeln

  • von unterhalb der Sonde (Abstand ca. Verschüttungstiefe) zum Opfer hin graben (Abb. 3)
  • Ziel ist es, so rasch als möglich den Kopf freizulegen
Systematisches Ausschaufeln von Lawinenverschütteten
Abb. 3 Systematisches Ausschaufeln (und bei weiteren Verschütteten nicht vergessen LVS sobald als möglich ausschalten!). Foto: Max Largo, Illustration Georg Sojer.

Erste Hilfe

Eine Beurteilung des Zustandes des Verschütteten kann erst erfolgen, wenn der Kopf freigelegt ist. Auch wenn bereits beim Schaufeln Lebenszeichen wahrgenommen werden, kann die Atmung verlegt sein und ein Ersticken drohen. Deswegen wird rasch und zielstrebig Richtung Kopf geschaufelt und sobald als möglich versucht, eine Atemkontrolle durchzuführen. Im Gegensatz zur Standard-Atemkontrolle (siehe bergundsteigen #100) ist es hier wichtig, die Mundhöhle zu kontrollieren und gegebenenfalls Schnee und/oder Erbrochenes zu entfernen.

Vor dem weiteren Ausschaufeln wird nun Folgendes abgeklärt bzw. ergeben sich folgende weitere Wege:

# Möglichkeit 1. BEST CASE: ansprechbar, Atemwege und Atmung OK

Die Atemwege (A = Airway) sind frei und die Person ist wach und ansprechbar. Dann sind die körpereigenen Schutzreflexe vorhanden und ein Ersticken droht nicht. Der Retter hält ab jetzt den Kopf stabil inline (Abb. 4, siehe auch Notfall Alpin: die ersten 5 Minuten in bergundsteigen #99).

Bezüglich der Atmung (B = Breathing) gilt es, schnellstmöglich die Atemqualität (Tiefe, Frequenz, Rhythmus – siehe bergundsteigen #100) zu checken. Dazu wird der Verschüttete auch befragt, ob er gut Luft bekommt und ob ein tiefes Ein- und Ausatmen schmerzfrei möglich ist.

BEST CASE bei Lawinenrettung: die Verschüttete Person ist wach und ansprechbar.
Abb. 4 Möglichkeit 1. BEST CASE, die Verschüttete ist wach und ansprechbar, Atemwege und Atmung sind OK. Eine Retterin hält beim weiteren Ausschaufeln den Kopf stabil inline (mit beiden Händen umfasst). Foto: Max Largo

Bezüglich des Kreislaufs (C = Circulation) wird bereits versucht festzustellen, ob und wo starke Blutungen vorhanden sind. Je nach Situation wird reagiert: ist z.B. der Oberschenkel bereits jetzt schon freigeschaufelt und ist hier eine starke Blutung erkennbar, dann wird diese bereits jetzt gestillt. Wie immer gilt, dass es kein Patentrezept gibt, sondern situationsbezogen und im Sinne des ABC-Schemas agiert werden muss.

Während des weiteren schonenden Ausschaufelns hält ein Retter den Kopf (Abb. 4) und verhindert somit Bewegungen im Bereich der Halswirbelsäule, da aufgrund der Dynamik eines Lawinenabganges mit Verletzungen gerechnet werden muss. Daneben sorgt er dafür, dass durch das weitere Ausschaufeln kein Schnee in das Gesicht rieselt.

Dem ABC-Schema folgt auch ein Punkt Neurologischer Status (D = Disability). Diesen sprechen wir hier erstmals an. In unserem Best Case fragen wir den Verschütteten nach seinem Namen, Tag und Datum, dem Unfallort und -hergang. Werden diese Fragen adäquat beantwortet, gilt der Verschüttete als voll orientiert und es entsteht kein Handlungsbedarf.

Reagieren werden wir aber zum Punkt Äußere Einflüsse (E = Environment). Diesem kann bereits jetzt Rechnung getragen werden, indem einer weiteren Auskühlung des Verschütteten durch eine Mütze, Wärmepack, Daunenjacke etc. vorgebeugt wird. Ist der Verschüttete komplett freigeschaufelt, bleibt er an der Halswirbelsäule weiter immobilisert und ein Komplettcheck von A bis E wird durchgeführt und entsprechend reagiert.

Im Idealfall liegen keine Auffälligkeiten vor, und auch wenn der Verschüttete „unverletzt“ scheint, ist er für uns weiterhin kritisch und wird von den Einsatzkräften zur weiteren Überwachung und Diagnostik in ein Krankenhaus gebracht. Nicht nur jeder Ganzverschüttete muss professionell in ein Krankenhaus abtransportiert werden, durch die Dynamik eines Lawinenabganges sind auch Teil- oder Nichtverschüttete massiven Kräften ausgesetzt. Bei geringsten Zweifeln ist auch hier eine weitere Abklärung notwendig.

# Möglichkeit 2. Nicht ansprechbar, Atemwege und Atmung kritisch

Chinlift-Manöver bei Lawinenbergungen
Abb. 5 Möglichkeit 2. Die Verschüttete ist nicht ansprechbar, die Atemwege und Atmung sind kritisch. Die Atmung wird geprüft, die Mundhöhle gecheckt und u.U. freigeräumt, der Kopf wird ab sofort stabil inline gehalten und das Chinlift-Manöver angewendet (rechts), während die Verschüttete weiter ausgeschaufelt wird. Fotos: Max Largo

Die Atemwege (A = Airway) sind frei, die Person ist aber nicht wach und ansprechbar. Darunter fallen auch Verschüttete, die nur stöhnen oder nur auf Schmerzreiz die Augen öffnen. Hier droht ein Ersticken, da die körpereigenen Schutzreflexe nicht oder nur teilweise vorhanden sind. Die Mundhöhle wird kontrolliert und gegebenenfalls freigeräumt (Abb. 5). Der Retter hält ab jetzt den Kopf stabil inline und wendet das Chinlift-Manöver an: er schiebt das Unterkiefer nach oben und verhindert dadurch ein Verlegen der Atemwege durch die Zunge.

Helmabnahme, Rucksackabnhame bei Lawinenbergung
Abb. 6 Situationsbedingt kann ein Helm behutsam abgenommen und eine warme Mütze aufgesetzt werden. Das Freischaufeln geht oft leichter, wenn der Rucksack weggeschnitten wird. Fotos: Max Largo

Ein massives Überstrecken des Kopfes ist dabei nicht notwendig. Abgesehen davon, dass dies die Halswirbelsäule schützt, benötigen wir weniger Raum und somit ist dieses Manöver bei bereits nur teilweise freigeschaufelten Personen möglich.

Die Atmung (B = Breathing) wird bezüglich der Atemqualität mit allen Sinnen überprüft (siehe Notfall Alpin: Atmung/Kreislauf in bergundsteigen #100). In dieser Möglichkeit 2 atmet der Verschüttete eindeutig adäquat. Nun wird so schnell als möglich der Oberkörper freigeschaufelt, damit im Falle des Erbrechens ein Logroll (siehe bergundsteigen #99) durchgeführt werden kann. Dieses Manöver (Abb. 7) erfordert einen zweiten Retter (Schaufler) und ersetzt die stabile Seitenlage, wenn der Verschüttete noch nicht komplett freigeschaufelt ist, und hat den weiteren Vorteil, dass die Wirbelsäule weniger manipuliert wird.

logroll lawine
Abb. 7 Die Logroll kann die stabile Seitenlage bei Erbrechen ersetzen, wenn erst der Oberkörper freigeschaufelt ist. Dazu sind aber zwei Retter notwendig. Foto: Max Largo

Erst jetzt beschäftigen wir uns mit dem Kreislauf (C = Circulation), d.h. wir versuchen festzustellen, ob und wo starke Blutungen vorhanden sind und reagieren entsprechend. Während des weiteren schonenden Ausschaufelns führt der Retter den Chinlift fort und kontrolliert permanent A und B, um gegebenenfalls reagieren zu können (Logroll).

Der neurologische Status (D = Disability) wird hintangestellt, weil A und B relevant sind. Der Situation entsprechend wird der Punkt Äußere Einflüsse (E = Environment) berücksichtigt. Ist der Verschüttete komplett freigeschaufelt, kann solange auf eine stabile Seitenlage verzichtet werden, wie durch Chinlift und Logroll ein freier Atemweg gewährleistet werden kann.

Bei Ressourcenknappheit oder Zweifel am Erfolg dieser Maßnahmen wird der Verschüttetete in die klassische stabile Seitenlage gebracht (Abb. 8), die einfacher und fehlertoleranter (und durch nur einen Retter) angewendet werden kann. Spätestens jetzt wird im Sinne von Kreislauf (C = Circulation) der Verschüttete auf Blutungen hin untersucht und gegebenenfalls behandelt.

Lawinenbergung: Freischaufeln und stabile Seitenlage
Abb. 8 Nach dem Freischaufeln ist die stabile Seitenlage einfacher und fehlertoleranter als z.B. Chinlift und Logroll bei Bedarf. Die Verschüttete wird auf Verletzungen bzw. Blutungen (C) untersucht, der neurologische Status (D) ist wenig relevant, jedoch wird auf die äußeren Einflüsse (E) reagiert und mit allen Mitteln vor Auskühlung geschützt. Foto: Max Largo

In diesem Szenario liegt der Erste-Hilfe-Schwerpunkt auf den Punkten A und B, wobei nach dem Ausschaufeln ein weiteres Auskühlen unbedingt zu verhindern ist. Leider kann es vorkommen, dass der in diesem Beispiel beschriebene Verschüttete Probleme mit A und B bekommt und somit reanimationspflichtig wird, womit wir zum Worst-Case-Beispiel kommen.

# Möglichkeit 3. WORST CASE, keine Atmung

Sind die Atemwege (A = Airway) nicht frei, ist keine Atmung möglich. Deswegen wird der Mund- und Rachenraum mit den Fingern freigeräumt und der Kopf überstreckt bzw. das Chinlift-Manöver durchgeführt. Das Freiräumen der Atemwege kann u.U. dazu führen, dass die Atmung wieder einsetzt.

Chinlift-Manöver
Abb. 9 Möglichkeit 3. WORST CASE, keine Atmung. Nachdem keine Atmung festgestellt wurde, wird der Mund-/Rachenraum freigeräumt und das Chinlift-Manöver angewendet. Foto: Max Largo

Stellen wir bei Atmung (B = Breathing) allerdings trotzdem keine adäquate Atemtätigkeit fest bzw. haben Zweifel bezüglich der Atemqualität, muss mit der Reanimation begonnen werden (siehe Notfall Alpin: Atmung/Kreislauf in bergundsteigen #100) – was bei einer nicht gänzlich freigeschaufelten Person eine Herausforderung darstellt. Deswegen ist es oberste Priorität, den Verschütteten so schnell als möglich soweit frei zu legen, dass eine Thoraxkompression (Herzdruckmassage) möglich ist.

Das setzt voraus, dass

  • sich der Verschüttete in Rückenlage befindet
  • der Untergrund hart genug ist und nicht nachgibt
  • der Retter in eine Position zum Verschütteten kommt, aus der er die Kompression durchführen kann

Muss der Verschüttete dazu weiter ausgeschaufelt werden, wird in dieser Zeitspanne bereits mit der Notfallbeatmung begonnen:

  • Kopf ist überstreckt
  • Mund-zu-Mund (besser: Mund-zu-Maske)
  • 10 mal pro Minute (alle 6 Sekunden)
  • eine „normale“ Ausatmung bezüglich Volumen und Stärke

Diese Notfallbeatmung dient zur Überbrückung und muss so schnell als möglich durch eine kombinierte Reanimation im Verhältnis 30 x Herzdruckmassage (vgl. Notfall Alpin: Atmung/Kreislauf in bergundsteigen #100) zu 2 x Beatmung ersetzt werden. Diese ist fortzusetzen, bis man von den Rettungskräften abgelöst wird.

In diesem Zusammenhang:

  • Nach einer Lawinenverschüttung wird nicht nur der Brustkorb komprimiert, sondern zusätzlich durch zwei Atemspenden Sauerstoff in den Kreislauf gebracht.
  • Diese „Herzlungenwiederbelebung“ erfordert mindestens zwei Retter, wobei aufgrund der Anstrengung der „Komprimierer“ alle zwei Minuten getauscht werden sollte.
  • Idealerweise stehen dafür drei Retter zur Verfügung, wobei einer die Rolle des „Beatmers“ übernimmt und sich die anderen beiden beim Komprimieren abwechseln.
  • Nicht nur hygienische Bedenken und Infektschutz, sondern auch die Qualität der Beatmung wird durch die Verwendung einer Beatmungsmaske (in Kombination mit dem Doppel-C-Griff) erhöht.
  • Ist ein AED zur Verfügung, sollte dieser so schnell als möglich in den Reanimationsablauf integriert werden (siehe folgender Artikel zum AED).

Mit dem Punkt Kreislauf (C = Circulation) beschäftigen sich freie Retter, d.h. während der Reanimation werden evtl. vorhandene, starke Blutungen bestmöglich gestoppt.

Der neurologische Status (D = Disability) entfällt und auch auf die äußeren Einflüsse (E = Environment) wird nicht eingegangen, weil eine weitere Auskühlung in diesem Szenario von Vorteil sein kann.

Je nach Situation und Ressourcen ist dieses Szenario aufwendig und ein guter Leader wird maßgeblich dazu beitragen den Überblick zu bewahren, die Retter optimal einzuteilen und zu erkennen, welche Maßnahmen Priorität haben.

(Neuerlicher) Notruf

Je nach Situation und Ressourcen wird spätestens jetzt ein umfangreicher Notruf abgesetzt bzw. vervollständigt (Abb. 10).

Der Notruf wird situationsabhängig idealerweise vor Beginn der Suche abgesetzt
Abb. 10 Der Notruf wird situationsabhängig idealerweise vor Beginn der Suche abgesetzt, spätestens aber, wenn der Verschüttete versorgt ist. Sofern ein Mobiltelefonnetz zur Verfügung steht. Foto: Max Largo

Übergabe Rettungskräfte

Sobald die Rettungskräfte vor Ort eintreffen, informiert der Leader das Einsatzteam über

  • die allgemeine Situation
  • die Gefahrensituation
  • den Zustand des Verschütteten
  • den Rettungsverlauf

Alle anderen Kameradenretter vor Ort führen davon unbeeindruckt ihre Maßnahmen weiterhin fort, bis sie von den Rettungskräften direkt weiter instruiert werden.

Zum Teil 3 der Serie Notfall Alpin: AED

Zum Teil 5 der Serie Notfall Alpin: Blutung stillen.

Erschienen in der
Ausgabe #102 (Frühling 18)