Ondra/Schubert: «Andere Projekte sind nie zu einem Albtraum geworden»
Teil II unseres Interviews: Adam Ondra und Jakob Schubert über mentale Stärken und ihre Grenzen.
Kam irgendwann der Punkt, wo die Flantanger-Route Project Big keinen Spaß mehr machte?
SCHUBERT: Sicher. Das erlebt man oft bei so langen und schwierigen Routen. Und das bedeutet eben, dass man sehr, sehr viel Zeit auf so einer Route verbringen muss – und das macht irgendwann keinen Spaß mehr. Vor allem bei einer Route, die so extrem von den Bedingungen abhängig ist. Es gibt viele Tage, an denen man die Route gar nicht sinnvoll ausprobieren kann. Man wacht auf und weiß nicht, ob es in der Höhle neblig ist, ob es trocken sein wird oder nicht. Das kann ganz schön nerven. Gleichzeitig wird es ab dem Punkt, wo der Spaß aufhört, auch mental immer schwieriger. Sehr lange Routen sind natürlich immer auch eine mentale Herausforderung. Wenn man den leichteren Part so oft geklettert ist, klettert man manches davon wie automatisiert. Dann muss man sich immer wieder selbst daran erinnern, dass man konzentriert bleiben muss.
Wir haben tatsächlich jedes Mal geglaubt: Das könnte der Tag sein.
Adam Ondra
ONDRA: Das große Problem an dieser Route ist nicht nur, dass man selten gute Bedingungen hat, sondern auch, dass es so sehr auf diesen einen Zug ankommt. Ab einem bestimmten Punkt haben wir nicht mehr sehr lange gebraucht, um vom Boden aus bis zur Schlüsselstelle zu klettern. Aber dann sind wir in diesem einen Zug gestürzt. Immer und immer wieder. Wir haben so viele Versuche gehabt, ohne wirklich weiterzukommen. Andere Langzeitprojekte sind für mich nie wirklich zu einem Albtraum geworden, weil es immer einen gewissen Fortschritt gab. Bei Silence (9c) war es mental viel einfacher. Da konnte ich abschnittsweise an der Route arbeiten. Bei Project Big haben wir einfach viel zu viele Tage gehabt, an denen wir dachten: „Okay, das könnte DER Tag sein.“ Wir haben es tatsächlich jedes Mal geglaubt. Aber dieser Tag kam dann einfach nicht. Ab einem bestimmten Punkt war uns klar, wie sehr Project Big von den äußeren Bedingungen abhängt.
Wie geht ihr mit den mentalen Herausforderungen beim Klettern um? Hast du zum Beispiel einen Mentaltrainer, Jakob?
SCHUBERT: Nein, habe ich nicht. Ich hatte auch nie wirklich ein Coaching für das Mentale beim Klettern. Ich denke, es ist im Grunde alles Erfahrung. Erfahrung, die ich durch die Projektion anderer harter Routen gelernt habe, oder die ganze Erfahrung, die ich bei Wettbewerben gesammelt habe. Natürlich habe ich in Summe mehr Wettkampf-Erfahrung. Flatanger war sicher die größte Herausforderung, was die Bedingungen am Fels angeht und was ab einem bestimmten Punkt auch zu einer mentalen Belastung wird.
Manchmal setze ich mich einfach unter den Felsen und warte zehn Minuten, bis ich das Gefühl habe: Das ist jetzt der richtige Moment.
Adam Ondra
Was ist deine Sicht auf die mentale Seite des Kletterns, Adam?
ONDRA: Ich habe das Gefühl, dass mir die schwierigsten Projekte am Fels mental so viel abverlangen wie die wichtigsten Wettkämpfe. Bei großen Projekten versuche ich, jeden ernsthaften Versuch so anzugehen, als wäre ich beim Weltcup oder bei den Weltmeisterschaften. Ich versuche, in diesem einen Versuch alles zu geben – und den richtigen Moment zu erwischen.
Manchmal setze ich mich einfach unter den Felsen und warte fünf oder zehn Minuten, bis ich das Gefühl habe: Wow, das ist jetzt der richtige Moment. Ich fühle ihn. Im Gegensatz dazu heißt es bei Wettkämpfen auf dem Monitor: Adam Ondra, jetzt bist du dran. Dabei hat man sich zehn Minuten vorher schon so bereit und aufgeregt gefühlt, dass ich – wenn ich am Fels gewesen wäre – schon früher eingestiegen wäre.
Für mich ist der mentale Aspekt in der Route am Fels sehr viel schwieriger als bei einem Wettkampf.
Jakob Schubert
SCHUBERT: Ich bin draußen am Fels niemals so nervös und unter Druck wie bei einem Wettkampf. Bei den Wettkämpfen sind die zwei Stunden in der Isolationszone oft der schlimmste Teil für mich. Da ist man nervös, unter Druck, weiß nicht, wann und wie viel man sich aufwärmen soll. Aber sobald ich in der Route bin, ist das alles weg. Während der drei oder vier Minuten in der Route bin ich so konzentriert, dass ich gar nicht mehr merke, wo ich bin.
Draußen am Fels fühlt sich das für mich ganz anders an. Da ist das Mental Game in der Route viel anspruchsvoller als bei einem Wettkampf. Und weil man die Route schon so oft versucht hat, gibt es viel mehr Momente, in denen man zu viel nachdenken und dabei Konzentration verlieren kann.
Wie hast du dich in Flatanger in den Kneebars gefühlt?
SCHUBERT: Kneebars sind toll, um etwas Ausdauer zurückzugewinnen, aber sie sind nicht gut für die Psyche, weil sie deine Konzentration unterbrechen und du viel lieber einfach weiterklettern würdest. Deshalb denke ich, dass eine 10-Meter-Route wie im La Capella-Sektor in Siurana im Vergleich zu B.I.G. mental eigentlich ein Witz ist. Obwohl es auch hier ein anderes mentales Spiel ist, bei dem man in den ersten fünf Zügen alles geben muss. Aber ja, Kneebars sind definitiv eine mentale Herausforderung. Zum Glück gibt es sie bei den Wettkampfrouten nicht.
Wie geht ihr mit der Psyche beim Wettkampfklettern um?
ONDRA: Mir hilft es, dass bei den Boulder-Wettkämpfen Onsight geklettert wird. Das bedeutet für mich, dass es keine Alptraumabschnitte gibt, von denen ich schon vorher weiß, dass ich sie vielleicht nicht schaffe.
SCHUBERT: Lead ist für mich mental viel schwerer als Bouldern.
ONDRA: Für mich fühlt sich beides genauso an.
SCHUBERT: Wirklich? Beim Bouldern beginnt das Mental Game für mich erst, wenn ich am Boulder bin. Die Zeit davor fühlt sich nie so schlimm an wie beim Lead. Dir geht es nicht so?
ONDRA: Nein, für mich ist die mentale Belastung beim Bouldern und beim Lead die gleiche. Ein Unterschied beim Bouldern ist natürlich, dass so viel mehr Faktoren eine Rolle spielen und sich der Wettbewerb ständig ändern kann.
SCHUBERT: Beim Bouldern hat man immer das Gefühl, dass man noch gut abschneiden kann, selbst wenn man einen Versuch vermasselt hat. Beim Lead kannst du dir keinen Fehler leisten, weil es sonst im Grunde vorbei ist. Deswegen bin ich beim Bouldern nie so nervös wie im Vorstieg.
ONDRA: Klar, beim Bouldern hat man mehrere Versuche. Aber oft läuft es dann doch auf den einen winzigen Moment hinaus, in dem es klappt oder nicht. Und für diesen Moment braucht man ein paar Versuche, um reinzukommen und um das Problem überhaupt zu verstehen. Und dann – kurz bevor die Zeit um ist – bleibt einem ein letzter entscheidender Versuch. Beinahe so wie im Lead.
Jakob, am 20. September 2023 bist du Project Big durchgestiegen. Was ging währenddessen in deinem Kopf vor?
SCHUBERT: Das Mental Game beginnt schon vor dem Klettern. An diesem Tag war es so, dass ich aufgewacht bin und erst einmal gedacht habe, dass es nach dem vielen Regen wahrscheinlich eh keine Chance gibt, Project Big an diesem Tag zu versuchen. Ich bin dann trotzdem zur Höhle gegangen und habe dort gesehen, dass es möglich sein könnte. Dadurch war der Druck geringer als an einem anderen Tag, an dem man beim Zustieg schon denkt: Heute musst du es schaffen, weil die Bedingungen so gut sind.
Die erste Crux bin ich ziemlich smooth geklettert, der Kneebar war dann wieder schlechter als zuvor, aber vor allem die große Schlüsselstelle selbst lief wirklich sehr, sehr gut in diesem Versuch. Ich habe mich frischer gefühlt als in den Versuchen zuvor. Die 8a nach der Crux ist mental natürlich schwierig, aber auch da lief es besser als erwartet. Natürlich war dann der Ausbruch des Griffs ein ziemlicher Schock, aber letzten Endes war das nur ein kleiner Moment. Und da ich nicht gestürzt bin, war es eigentlich keine so große Sache für mich. Im Nachhinein eine lustige Geschichte, von der man gut erzählen kann.
Was wäre passiert, wenn du da gefallen wärst?
SCHUBERT: Das wäre mental schon sehr schwierig geworden – vor allem, weil es eh danach aussah, dass es die drei Tage danach schwierig gewesen wäre, die Route nochmal zu probieren – und die Reise eh zu Ende gewesen wäre. Das Gefühl, dass es vielleicht gar keine Chance mehr geben wird, es noch einmal zu versuchen, wäre wirklich hart zu verdauen gewesen.
Adam, hast du am 20. September 2023 Jakobs Live-Stream verfolgt, als er seinen sechsten erfolgreichen Versuch bei Projekt Big startete?
ONDRA: Ich habe es mir etwa eine Stunde später angesehen – nachdem ich die Nachricht bekommen hatte, dass Jakob Project Big durchgestiegen ist.
Glaubst du, dass es in Zukunft mehr solche Live-Streams wie diesen geben wird?
ONDRA: Ich habe es genossen, mir das anzuschauen, auch wenn es nicht mehr live war, als ich es mir angeschaut habe. Die Video-Qualität war erstklassig. Ich habe großen Respekt vor Jakob, wie er mental damit umgegangen ist. Die Route selbst erzeugt schon so einen hohen Druck – und dann macht er das auch noch mit Live-Stream. Respekt!
Jakob, hättest du zum Livestream kurzfristig auch nein sagen können?
SCHUBERT: …
Jakob und Adam über medialen Druck, Sponsoring und Geldverdienen: Der dritte Teil unserer Interview-Reihe geht in Kürze online.
Warum Rivalität nichts Schlechtes ist, inwiefern Jakob Schubert Adam Ondra beneidet und warum Adam gerne Jakobs Fähigkeiten hätte: Teil I unseres Interviews mit Ondra & Schubert.