pro & contra: Digitale Tourenplanung
pro
von Michael Larcher
Die „Big Six“
Tourenplanung analog war nie mein Ding, Ungeduld schon eher. Es muss immer schnell gehen, das Sammeln der Informationen zu den „Big Six“ für Tage draußen am Berg:
- 1) Gruppe
- 2) Route,
- 3) aktuelle Bedingungen
- 4) Wetter
- 5) Ausrüstung
- 6) Organisation.
Mit dem Internet war dann mein „Goldenes Zeitalter“ gekommen. Und jedes Jahr wurde und wird es besser, schneller, individueller – smarter. Cyberkriminalität, Datenschutz, Fake-News – ob das Internet für die Menschheit ein wirklicher Fortschritt ist, ob es hilft, mehr Wissen und Gerechtigkeit in die Welt zu bringen, das mögen Philosophen und Historiker beurteilen. Als einfacher Bergführer habe ich mein Urteil längst gefällt: Das Netz ist genial. Auch Notebook, Tablet, Smartphone. In der Planung immer, unterwegs immer wieder.
Wen interessiert noch groß der Maßstab einer Karte? Zoomfähig muss sie sein, digital und vektorbasiert.
Michael Larcher
Ein schneearmer Winter, Blankeis, offene Spalten, die Mont-Blanc-Tourenwoche muss ich absagen. Ein Ersatzziel muss her. Ich öffne meine Touren-App und sie liegt vor mir – die ganze Silvretta. Mit Daumen und Zeigefinger vergrößere ich den Ausschnitt – kleiner, größer, kleiner, größer. Wen interessiert noch groß der Maßstab einer Karte? Zoomfähig muss sie sein, digital und vektorbasiert. Und ich will Vielfalt. Will wählen können. Nach Lust und Laune. Denn die beste Karte gibt es nicht.
Nur zwei Tippbewegungen zur schönsten Karte der Welt
Jetzt taugt mir gerade die schlanke Open-Street-Map, dann will ich die üppige Alpenvereinskarte mit ihrer ungestümen Felszeichnung. Jetzt noch ein Blick auf das Satellitenbild, ob etwas über Gletscherrand und Spaltenzonen zu erfahren ist. Nur zwei Tippbewegungen später und die schönste Karte der Welt liegt vor mir – die Swisstopo. Ich lege noch sanft den Hangneigungslayer darüber und vertiefe mich in die Details.
Die Entscheidung für eine Silvretta-Rundtour ist gefallen. Jetzt drücke ich meine Fingerkuppe fest auf das Display. Das Setzen der Wegpunkte verlangt den entschlossenen Druck und es ist ein langer Weg: Von der Tuoi Hütte über die Fuorcla dal Confin auf den Ochsentaler Gletscher bis zum Skidepot in der Buinlücke. Rhythmisch wächst unter meinen Fingerkuppen der Track für den dritten Tourentag, der auf der Wiesbadener Hütte enden soll, mit Piz Buin und Silvrettahorn als Höhepunkten.
Ich teile meinen Track mit meinen Lieben zuhause
Mit meiner Tourengruppe teile ich den Track per WhatsApp. Mit der Einladung, ihn gleich zu speichern. Offline versteht sich. Somit besteht Unabhängigkeit vom Netz und Redundanz in Sachen Orientie- rung. Das hatte ich früher nie. Mit meiner problematischen, weil suchtartigen Bezie- hung zum Smartphone bin ich ja nicht al- lein: Wenn es einen Ausrüstungsgegen- stand gibt, den alle immer mit dabeiha- ben, dann ist es das Handy. Dass alle mit 100 Prozent in den neuen Tag starten, ist ein Standard, den ich längst etabliert habe, und ich kenne keine Hütte in den Ostalpen, wo man sein Handy nicht aufladen könnte. Nicht immer, aber immer öfter – ich teile meinen Track mit meinen Lieben zuhause – sozialer Kitt vom Feinsten!
Inzwischen ist mein Posting mit Track, Ausrüstungsliste, Wetterlinks und Hütteninfos in meiner WhatsApp-Gruppe „Silvretta_2022“ angekommen. Und es gibt auch schon die ersten Dankeschön-Emojis. Eine gute Vertrauensbasis scheint geschaffen.
contra
von Hans Honold
Seitwärts Abschneiden – die Umgebung im Blick
Manchmal kommt es mir wie ein Déjà-vu vor. In den 1990ern war ich noch Bordmechaniker und Hubschrauber-Besatzungsangehöriger der Bundeswehr. Die Flugplanung erfolgte damals durch Pilot und/oder Bordmechaniker mit Karte, Lineal, Bleistift und Radiergummi. Neben anderem gehörte es während des Fluges zu meinen Aufgaben, ständig die aktuelle Position im Flug mitzuplotten und Ansagen über Position, Hindernisse, Kurswechsel usw. zu geben. Bei schlechten Sichtbedingungen oder Wolken gingen wir oft in den Tiefflug über. Zur Orientierung half dann gelegentlich auch mal der Kontrollblick auf das eine oder andere Ortsschild, um zu schauen, ob wir auf der Karte noch richtig sind. Man könnte das auch als „Seitwärts Abschneiden“ bezeichnen!
Tourenplanung kommt von planen – nicht klicken!
Hans Honold
Über die Jahre perfektioniert man als Pilot bzw. Bordmechaniker diese Navigation bis ins Letzte. Wenn da nicht eine Firma namens Garmin gewesen wäre, die ein neues, kleines batteriebetriebenes Handgerät mit kleinem Kartenfeld für Piloten auf den Markt brachte. Jetzt hieß es: „Schnell ein paar Koordinaten eingetippt und fertig ist die Flugplanung“. Es dauerte nicht lange, bis insbesondere junge Piloten die gute alte Karte verpönten und im Crewmanagement auf ihr Garmin anstatt auf den Bordmechaniker und die Karte setzten. Und vielleicht wäre es mir genauso gegangen, wenn ich damals das Geld für das Gerät hätte berappen können! Die Praxis mit der alten Kartennavigation und deren Handhabung ging in der Folge so deutlich zurück, dass man teilweise noch nicht mal mehr die relevanten Karten mitnahm und ganz auf das kleine Helferlein setzte. Wer braucht schon eine Karte?
Die Abhängigkeit vom kleinen, elektronischen Helferlein
Sie waren von einem kleinen elektronischen Gerät und dessen Batterien abhängig geworden. Aber oft genug gab es auch Zahlendreher in der Koordinate, die Batterien versagten, im Tiefflug selbst war das Gerät mit dem kleinen Display ohnehin überhaupt nicht brauchbar. Mit etwas Fantasie kann sich jeder Leser ausmalen, was sich damals so manches Mal in den Cockpits über Deutschlands Luftraum abspielte!
In unserer Bergschule beschäftigen wir heute zwar keine „Könige der Lüfte“, aber das eine oder andere Erlebnis in unserer Branche erinnert mich immer wieder an diese Zeit. Man lädt schnell einen Track aus dem Netz aufs Gerät, dies muss nicht einmal ein richtiges GPS sein. Ein Handy tut’s auch, dazu gibt es Kurse beim Bergführerverband wie „Digitale Tourenplanung mit dem GPS-Gerät und Apps“. Die Quintessenz aus dieser Entwicklung ist der Anruf eines Teilnehmers einer Freeridetour um 10.00 Uhr morgens, er stehe hier in Verbier – in einem Hang – bei schlechten Sichtbedingungen – sein Bergführer starre ständig in sein Handy und suche nach dem Weg! Der Bergführer habe noch nicht einmal eine Karte dabei! Was denn das solle? – Hat dieser Gast Recht? – Ja, hat er!
„Old School“ hat Vorteile
Tourenplanung kommt von planen – nicht klicken! Die Vorteile einer „Old school“- Planung mit Karte liegen auf der Hand. Sie ist zwar auf den ersten Blick mühsamer, aber letztlich erfüllt sie den Begriff einer Tourenplanung. Mit Karte, Bleistift und Radiergummi muss der Tourenplaner (du) jeden Kurs vom Startpunkt über Zwischenziel A, B, C … einzeln bestimmen. Dabei bleibt es nicht aus, dass man sich in intensivster Form mit der Karte, der Route und dem Gelände beschäftigt. Die weiteren Parameter, wie Entfernung, Höhe, Richtung hin und zurück, markante Punkte auf der Teilstrecke, Höhenmeter nach oben und unten, müssen dabei selbst herausgelesen und zusammengerechnet werden.
Details im Kopf abspeichern
Letzten Endes wird daraus eine Marschtabelle mit den wichtigsten Daten, welche man auf Tour mit AV-Karte und selbstverständlich auch dem Kompass dabei hat. Diese Vorgehensweise erfordert zwar Zeit, hat aber den unschlagbaren Vorteil, dass die so geplante Tour durch das intensive Beschäftigen deutlich detaillierter im Kopf abgespeichert ist – und genau da sollte sie doch auch sein, oder?
Digitales Backup
Aber selbstverständlich gehört zu dieser Tourenplanung heute auch noch der GPS-Track als Backup für schlechtes Wetter und das besser auf einem Inreach anstatt auf einem regulären GPS.