pro & contra: Klimakrise – keine Flugreisen mehr?
1. Pro
Weniger fliegen, mehr Freiheit. Wer den Leuten ihr Leben lässt, wie es ist, wer sich gegen „Verbote“ ausspricht und für die „Freiheit“ starkmacht, entledigt sich jedes Ideologie-Verdachts. Er ist schließlich nicht der Sauertopf, der anderen was vorschreiben will, auch nicht für den Klimaschutz. Es gehört zur Rhetorik unseres Konsum- und Lebensstils, diesen als zeitlose Normalität auszugeben. Jeder Ruf nach Regelung und Beschränkung darf indes als „öko-radikal“ etikettiert werden.
Diese Logik ist unbewusst in viele Köpfe eingesickert. Sie versteckt sich verbrämt auch in dieser Behauptung: „Wir ältere Bergsteiger können doch jetzt den jüngeren das Fliegen nicht verwehren.“ Doch ökologische Grenzen lassen sich nicht durch Sprache aus der Welt schaffen. Physik lässt sich nicht überrumpeln. Die Folgen der Erderwärmung mit Hitzewellen, Wasserknappheit und Sturmfluten werden in jeden Winkel und jede Ritze unseres Lebens eindringen.
DAV, ÖAV, AVS und SAC sind in der Gesellschaft wichtige Player und Multiplikatoren. Sie haben zusammen mehr als 2,3 Millionen Mitglieder. Alle vier Vereine haben Strategien zum Klimaschutz entwickelt – oder sind dabei –, was die Treibhausgas-Bilanzen der Vereine selbst angeht. Den ambitioniertesten, weil messbaren Plan hat der DAV, der Klimaneutralität bis 2030 erreichen will. Natürlich, Alpenvereine können ihre Mitglieder damit nicht hindern, privat ins Flugzeug zu steigen. Aber sie können auf deren Bild vom Bergsteigen Einfluss nehmen.
Als Naturschutzverbände stehen sie sogar in der Pflicht, auf ihre Mitglieder einzuwirken, weniger zu fliegen. In den Satzungen aller Alpenvereine sind Natur- und Umweltschutz als Ziel und Zweck verankert. So steht in den Statuten des DAV, dass Schutz und Pflege der Natur in den Alpen „insbesondere bei der Ausübung des Bergsteigens“ zu erfolgen hat. Der ÖAV versteht sich gar als „Anwalt der Alpen“. Und der AVS verpflichtet sich zu „Natur- und Landschaftsschutz im Sinne von Sensibilisierung, Vorbild und aktiver Betätigung“.
Kleine Erinnerung: Jeder, der Mitglied in einem Alpenverein ist, hat der jeweiligen Satzung zugestimmt und sie damit unterschrieben. Bei ihren Tourenprogrammen sollten die Vereine Flugreisen reduzieren. An die Stelle müssen Destinationen rücken, die per Zug erreichbar sind. Der Orient-Express war übrigens nicht nur ein berühmter, sondern auch ein erfolgreicher Zug. Natürlich, eine Schienenreise dauert länger.
Mit der Klimakrise steht alles auf dem Spiel. Alles.
Margarete Moulin
Na und? Es gibt kein Menschenrecht auf Bequemlichkeit. Und auch aus der Identität „Alpinist“ lassen sich nicht einfach Privilegien ableiten. Die Selbstverständlichkeit, mit der Bergsteiger*innen ins Flugzeug steigen, muss verschwinden. Eine Rechtfertigung für Fernreisen ist, sie würden Menschen Augen und Herzen öffnen für andere Kulturen. Stimmt, die Begegnung mit fremden Lebensweisen und Landschaften kann Reisende tief berühren. Im besten Falle ist das Erlebte ein Anstoß, den eigenen Lebensstil in Frage zu stellen und sich in der Völkerverständigung zu engagieren.
Das wäre aber mehr, als über dem Balkon eine Gebetsfahne zu drapieren. Gegen die Erfüllung ein, zwei solcher Herzenswunsch-Reisen oder einen internationalen Austausch ist nichts einzuwenden. Es darf nur nicht zur Wiederholungstat werden. Mit der Klimakrise steht alles auf dem Spiel. Alles. Noch können wir die schlimmsten Folgen abmildern. Einschränkung bedeutet daher nicht Gängelung, sondern die Bewahrung von Freiheit für all jene, die nach uns kommen. Politik ohne Physik ist Fantasiepolitik. Das gilt auch für Vereinspolitik.
Margarete Moulin ist freie Journalistin und lebt südlich von München. Sie schreibt unter anderem für die „Zeit“ und die „taz“ und war Redakteurin bei der von Michael Pause geleiteten Zeitschrift „Berge“. Sie ist Autorin des Handbuches „Schreiben über die Klimakrise. Berichterstattung in einer heißer werdenden Welt“, welches Journalist*innen dabei unterstützen soll, kompetent und verständlich über das Thema zu informieren.
2. Contra
Wir befinden uns auf einem schmalen Grat. Es ist schwierig, über ein so stark polarisierendes Thema zu schreiben. Auch ich habe mit dem Thema zu hadern und kann mich nicht kategorisch auf eine Position festlegen. Der Klimawandel ist real, die Situation ist dramatisch. Wir alle müssen unseren Beitrag leisten, um die Katastrophe doch noch zu verhindern bzw. den Schaden einzudämmen!
Die Alpenvereine, die in erster Linie ja Bergsteigervereine sind, sitzen hier zwischen den Stühlen. So haben sie doch auch den Naturschutz als wichtigen Baustein in ihren Leitlinien fest verankert. Die Vereine haben hier einen massiven Interessenkonflikt, der diskutiert werden muss. Trotz fortwährender Warnungen des Weltklimarats hat das Thema Klimaschutz jahrzehntelang wenig Beachtung gefunden. Jetzt, um fünf nach Zwölf, wird wieder einmal verlangt, dass es die jungen Generationen richten, indem sie Flugreisen in die weite Welt kategorisch ausschließen sollen.
Karawanen von Autos wälzen sich am Wochenende in die Berge, Hubschrauber beliefern die Hütten für die Gäste, Wanderwochen werden auf fernen Inseln organisiert. Komfort wie warme Duschen und üppige Menüs sind auf Schutzhütten zum Standard geworden. Alles klimaschädlich. Mehr oder weniger Notwendigkeiten, das ist klar.
Doch weil wir jetzt das Klima retten müssen, verdonnern wir einfach die Jugend dazu, darauf zu verzichten, sich die Welt anzusehen. Sie sollen diese Handvoll an Flugreisen einsparen und wir tun so, als wäre damit das Problem gelöst. Ist das nicht eine Feigenblatt-Aktion? Wir möchten das Klima schützen. Aber sollen wir deswegen unser Leben stoppen? Wollen wir einen der Gründe der Existenz der Vereine beschneiden?
Aber sollen wir deswegen unser Leben stoppen?
Peter Warasin
Wir sind eben auch Alpinist*innen. Wir suchen die Herausforderung am Berg, wir suchen Wege, die unmöglich erscheinen, die noch niemand gegangen ist, fernab jeglicher künstlich geschaffener Illusion von Sicherheit. Manchmal führt uns diese Suche in die weite Welt, auch deswegen, weil manches bei uns nicht mehr möglich ist und weil viele große Herausforderungen nur anderswo zu finden sind. Fliegen wir deswegen ständig? Nein. Aber manchmal geht es nicht anders.
Diese Reisen erweitern unseren Horizont – besonders durch das Kennenlernen fremder Kulturen und Lebensweisen, die oft einen kleineren ökologischen Fußabdruck haben. Besonders für junge Menschen ist dieses Eintauchen in das Fremde, diese Lebensschule, wichtig. Nicht zuletzt bauen die Menschen, die durch unseren Tourismus leben, auf unsere Besuche.
Klar, das Zeigen mit Fingern auf andere wird keine Probleme lösen. Was für die eine Bevölkerungsgruppe entbehrlich ist, ist für die andere wichtig und Teil ihres Lebens. Die Erzählungen über die Berge dieser Welt mit ihren Abenteuern haben bereits Generationen vor uns beeinflusst. Die Menschen werden ihre eigenen Ziele und Abenteuer auch in der weiten Welt suchen. Ob mit oder ohne Alpenvereine. Die Vereine sollten mit ihren Aktionen Multiplikatoren für die Gesellschaft schaffen. Geben wir hier die Möglichkeit aus der Hand, die Werte der Alpenvereine bei alpinistischen Aktionen in der Ferne mitzugeben?
Peter Warasin ist Alpenvereinsfunktionär in Südtirol (Mitglied der Fachgruppe Tourenleiter, der Arbeitsgruppe IKT, des Fachausschusses Ausbildung und der Arbeitsgruppe Klimaschutz), Informatiker und begeisterter Alpinist.
Sollten wir nicht viel mehr alles umfassend betrachten? Jede Aktion auf ihre Klimafreundlichkeit untersuchen, um klimabewusste Entscheidungen zu treffen und dort zu sparen, wo es geht und sinnvoll ist? Vielleicht sollten wir die Frage für uns klären: Wenn wir schon wissen, dass Flugreisen den Klimawandel antreiben, warum glauben wir sie trotzdem unternehmen zu dürfen und was tun wir dafür, um den Schaden in Grenzen zu halten und ihn auszugleichen?
Wie sieht das die bergundsteigen-Community? Wir freuen uns über eure Gedanken in den Kommentaren unterhalb!