Ich gehʼ mit meiner Laterne: Über Nachtskitouren
Die Nachtaktivität unter Bergsportler*innen nimmt gefühlt zu. Ist das tatsächlich so und wenn ja, welche Auswirkungen haben die nächtlichen Ausflüge auf die Fauna?
Frida und Emil wollen raus in die Natur, sich nach der Arbeit bewegen, Lisa, Markus und andere bei einer Halben Radler und der leckeren Kaspressknödelsuppe in der Hütte treffen. Sie gehören zu denen, die auch nachts gerne mit Tourenskiern in den Bergen unterwegs sind. Ist das jetzt gut oder schlecht? Gut natürlich, denn Sport ist gesund, geselliges Treffen mit Freunden erhöht die Lebensqualität und Skifahren macht auch mit der Stirnlampe Spaß, statt im Netz surfen, im Schnee carven.
Doch wenn es Nacht ist, gelten besondere Regeln, die Frida und Emil kennen: Das Tourengelände abseits der Pisten ist nachts für sie tabu. Sie wissen, dass dort störempfindliche Tiere leben, die bei Dämmerung und Dunkelheit dringend Ruhe brauchen. Die Natur ist ihnen wichtig, sie wollen mithelfen, sie zu schützen. Dafür lieben die beiden ihren Tourenabend im nahen Skigebiet. Kurze Anreise, lange Zeit an der frischen Luft und dann die coole Einkehr. Auch mit dem Bahnbetreiber gibt es keinen Stress, alles ist besprochen, die Pistenraupen starten am Tourenabend später.
Das Tourengelände abseits der Pisten ist nachts für sie tabu. Sie wissen, dass dort störempfindliche Tiere leben, die bei Dämmerung und Dunkelheit dringend Ruhe brauchen.
Und weil es neben Frida und Emil in vielen Regionen der Alpen inzwischen Hunderte auch abends nach draußen zieht, braucht es dringend solche Ventile. Tourengehen ist ein Megatrend geworden und beansprucht weite Teile der Bergwelt. Wo nötig, kann dies im Einklang mit der Natur nur durch gezielte Lenkung erfolgen, vor allem bei Nacht. Die „Nachtskitour“ am oberbayerischen Taubenstein über dem Spitzingsee ist ein Beispiel. Das vom Großraum München gut erreichbare Skigebiet wurde vor ein paar Jahren stillgelegt. Seiher kommen immer mehr Tourengeherinnen und Tourengeher, auch nachts sind dort oft Scharen unterwegs.
Und sie schwärmen in alle Richtungen aus, teils weit über die ehemaligen Pisten hinaus. Auch in höchst sensiblen Bereichen funkeln Stirnlampen. Um dieses ausufernde Geschehen einzudämmen und das nächtliche Skivergnügen in naturverträgliche Bahnen zu lenken, haben Alpenverein, Tourismusverband, Forstbetrieb und Landratsamt die Hauptskiroute durch den Lochgraben als „Nachtskitour“ beschildert. Die Route überwindet 600 Höhenmeter, oben gibt es, zumindest in „normalen“ Wintern, zwei Möglichkeiten zum Einkehren. An neuralgischen Abzweigen weisen Schilder auf den Rand des empfohlenen Korridors hin. Gleichzeitig hat das Landratsamt die empfindlichsten Areale zu Wildschutzgebieten gemacht, seit Dezember 2021 gilt hier ein Betretungsverbot.
Da dies auch kontrolliert und Nichtbeachten saftig bestraft wird, dürften dort künftig keine Lichter mehr blinken. Das Angebot der „Nachtskitour“ am Spitzingsee ist auch deshalb wichtig, weil es im weiteren Umkreis außer am Sudelfeld keine Skigebiete mit Tourenabend gibt. Aber viele Menschen, die sich draußen bewegen wollen. Frida und Emil kennen den Taubenstein nicht, er liegt weit entfernt. Weit fahren würden sie für den Ausflug am Abend ohnehin nicht, denn auch der Klimaschutz liegt ihnen am Herzen. Und was sollen sie am Taubenstein, wenn sie doch in ihrer kultigen Hütte ihre Freunde treffen werden …
Rudi Erlacher, Diplomphysiker, ist am Tegernsee in Oberbayern aufgewachsen. Der passionierte Skitourengeher und Kletterer begann sich Anfang der Neunziger wegen drohender Erschließungen in den heimischen Bergen im Naturschutz zu engagieren. Er ist seit 2003 Vorstandsmitglied im Verein zum Schutz der Bergwelt und war von 2015 bis 2019 Vizepräsident im Deutschen Alpenverein.
Über das vergebliche Reden über Nachtskitouren: Eigentlich dürfte ich zu diesem Thema keine Zeile schreiben. Ich mache es dennoch, nicht um mich zum Thema pro und contra Nachtskitouren zu äußern, sondern um Nachtskitouren mit der anderen aktuellen Entwicklung zusammenzubringen, die sich noch viel schneller ausbreitet – Corona und jetzt in der Variante Omikron. Die entscheidende Größe für die Durchdringung der Welt ist der R-Wert, das haben wir gelernt, eigentlich R0 – so viele steckt ein Infizierter in einer absolut unvorbereiteten Sozietät an – also Immunität = null, Problembewusstsein = null, also Naivitätsfaktor = 1, wenn das Maß zwischen 0 und 1 genommen wird. Was hat das Virus mit dem Nachtskitourengehen zu tun?
Nun, alle Nichtnaiven wissen, dass das Skitourengehen in der Nacht faszinierend ist (ansteckend), aber nicht so glücklich ist für die Fauna (Nachtskitouren können tödlich sein). Die Fauna konnte bisher zumindest in der Nacht noch durchatmen – gerade im Winter! Das scheint aber vorbei zu sein – nicht überall, aber in den Hotspots der Erlebnisgesellschaft bahnt es sich an, da ist die Nacht gerade en vogue – eine neue Art des Nachtlebens sozusagen. Der Cocktail für den Rausch wird nun im Freien und Dunkeln gemixt – was gar nicht stimmt. Die meisten nehmen sich den „Zauber der Nacht“ mit ihren überhellen LED-Lampen! STOPP! – Ein NO-GO! Denn der „Zauber der Nacht“ ist ein „Mem“. Ein Ideensplitter mit Eigendynamik! Mit, wenn der Zauber was taugt, einem R-Wert > 1. Sobald dieses Mem in der Welt ist, ist es nicht mehr zu stoppen.
Die meisten nehmen sich den „Zauber der Nacht“ mit ihren überhellen LED-Lampen! STOPP! – Ein NO-GO!
Ganz gleich wie es daherkommt, wie es eingepackt ist. Exponentiell – das hat uns die Pandemie gelehrt. Jede Aufklärung oder auch Lenkungsmaßnahme nennt das Motiv bzw. macht das Erlebnis erfahrbar – schon ist es geschehen. Es erhöht den R-Wert des Mems. Man könnte es das „Aufklärungsparadox“ nennen. Kommunikationswissenschaftler untersuchen die Botschaften in den sozialen Medien nach ihrem R-Wert-Potenzial. Der Medienwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl: „Information im informationstechnischen Sinne bedeutet eine markante Differenz zu bestehenden Erwartungshaltungen. Nur das kann als Information im System verbucht, verrechnet und skaliert werden. Anders gesagt: Die ‚Wahrheit‘ von Informationen wird von konkreten Inhalten nur insofern repräsentiert, als sich in ihnen ein Erwartungs- oder Anzeigeunterschied manifestiert.
Information ist Überraschungsdifferenz. Da hat etwa die Behauptung einer flachen Erde heute einen höheren Informationswert als die Vermutung, die Erde sei rund. Somit müsste man Information strikt von Wissen unterscheiden.“ Und Aufklärung/Lenkung von Erlebnis! Jede Aufklärung/Lenkung, die ein Erlebnis einhegen will, damit etwas Drittes ein Chance bekommt, hat schon verloren, wenn das Erlebnis nur groß – oder verrückt genug ist, um eine „markante Differenz“ zu erzeugen. „Nachtskitouren!“ sind das ideale Mem. Die Tag- Nacht-Differenz ist schon für sich markant, dann noch auf Skitour!
Geht doch gar nicht! Geht doch! Ist doch verrückt, aber nein … usw. Die sozialen Medien sind dafür der ideale Resonanzkörper: Sie kennen keinen Stoßdämpfer. Das System schaukelt sich auf, bis die Brücke zwischen Wahn und Wirklichkeit bricht – oder die Herdenimmunität erreicht ist. Was tun: Schweigen ist Gold! Mit dem Reden gar nicht anfangen. Aber einmal muss es gesagt sein: Du redest, also hast du nicht nachgedacht! Oder lieber doch nicht? Zu spät!
Die Nachtaktivität unter Bergsportler*innen nimmt gefühlt zu. Ist das tatsächlich so und wenn ja, welche Auswirkungen haben die nächtlichen Ausflüge auf die Fauna?
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