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|||||||||||||||||||||||Fig. 2 Concetto di sentiero escursionistico e alpino del Land Tirolo. Ufficio dell´Amministrazione provinciale del Tirolo / Dipartimento Sport (09/2019). Foto: Chr. Höbenreich|Abb. 2 Wander- und Bergwegekonzept des Landes Tirol. Amt der Tiroler Landesregierung/Abteilung Sport (09/2019). Fotos: Christoph Höbenreich

R.A.G.N.A.R.

Risiko Analyse Gravitativer Naturgefahren im Alpinen Raum – ein Werkzeug zur Objektivierung des „alpinen“ Hausverstands.

Jede Bergsteigerin und jeder Bergwanderer kennt den Hinweis: „Weg aufgrund von Steinschlag gesperrt!“ Leider hat die Zahl der gesperrten Wege in der jüngeren Vergangenheit deutlich zugenommen. Betroffen sind dabei aber nicht nur Ziele in geologisch instabilen oder vom Auftauen des Permafrosts besonders betroffenen Regionen wie am Mt. Blanc oder am Matterhorn, sondern auch Berge und Wege in der heimatlichen Umgebung.

Um Steinschlag & Co in der Praxis richtig einschätzen zu können und schließlich zielführende Maßnahmen zu treffen, entwickelte eine Expertengruppe R.A.G.N.A.R.¹

Gesetzliche Grundlage

Dass es überhaupt so etwas wie Wegsperren gibt, liegt an der sogenannten Wegehalterhaftung, die in Österreich im ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) in § 1319a geregelt ist. Sie verpflichtet den „Halter“ eines Weges (z.B. eine Alpenvereinssektion oder einen Tourismusverband) dafür Sorge zu tragen, dass sich ein Weg in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet.

Eine Wegsperre ist daher eine Maßnahme, zu der ein Wegehalter bei mangelhaftem Zustand des Weges verpflichtet ist. Sie wird in der Regel immer dann ausgesprochen, wenn Zweifel am ordentlichen Zustand oder der Sicherheit eines Weges bestehen. Während also ein Wegehalter den Weg sperren muss, kann ein Wanderer eine Wegsperre auch ignorieren. Dabei muss ihm aber klar sein, dass er das in Eigenverantwortung tut und einen evtl. auftretenden Schaden (z.B. durch Steinschlag oder eine einstürzende Brücke) nicht geltend machen kann!

Gesetzliche Grundlagen

In Österreich gilt die „Wegehalterhaftung“ nach § 1319a ABGB.

  • Wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt, oder eine Sache beschädigt, so haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Ist der Schaden bei einer unerlaubten, besonders auch widmungswidrigen, Benützung des Weges entstanden und ist die Unerlaubtheit dem Benützer entweder nach der Art des Weges oder durch entsprechende Verbotszeichen, eine Abschrankung oder eine sonstige Absperrung des Weges erkennbar gewesen, so kann sich der Geschädigte auf den mangelhaften Zustand des Weges nicht berufen.
  • Ein Weg im Sinn des Abs. 1 ist eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehres benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist; zu einem Weg gehören auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Ob der Zustand eines Weges mangelhaft ist, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist.
  • Ist der mangelhafte Zustand durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.

Naturräumliche und gesellschaftliche Veränderungen

Dass es zu einer Zunahme von Sperren alpiner Wege kommt, hat verschiedene Ursachen: Zum einen sind es die naturräumlichen Veränderungen, deren Auswirkungen wir insbesondere durch häufigere Starkniederschlagsereignisse, das Auftauen des Permafrosts und das Abschmelzen der Gletscher im Hochgebirge bemerken. Zum anderen steigen auch bei den Wegehaltern die Haftungsängste, nicht zuletzt aufgrund einer tatsächlich vorhandenen oder wenigstens gefühlten Vollkaskomentalität bzw. einer fehlenden Bereitschaft zur Eigenverantwortung, die von den Wegenutzern an den Tag gelegt werden. Der Umstand, dass ein Großteil der „Naturnutzer“ neben einer Unfallversicherung auch eine Rechtschutzversicherung hat, führt auch dazu, dass es vermehrt zu Klagen kommt.

Die Schutzziele legen fest, „was passieren darf“ – und sind von der Nutzergruppe abhängig, die auf dem Weg unterwegs ist. Foto: Walter Würtl

Pflichten des Wegehalters

Damit der Wegehalter seinen Pflichten in ausreichendem Maße nachkommt, reicht es in der Regel, wenn ein Weg im Gebirge einmal pro Jahr mittels Begehung überprüft wird. Bei diesen Begehungen werden gegebenenfalls die Markierungen erneuert, Anlagen (Brücken, Geländer, Halteseile …) kontrolliert, der Weg selbst instand gesetzt bzw. offensichtliche Gefahrenquellen beseitigt.

Seit Jahrzehnten hat es sich dabei bewährt, dass die Wegewarte hier mit ihrer alpinen Sachkenntnis bzw. mit „Hausverstand“ agieren. Dass diese gepflogene Praxis auch tatsächlich sehr wirkungsvoll und zielführend ist, zeigen die Unfallzahlen: Alpinunfälle, die auf einen mangelhaften Zustand eines Weges zurückzuführen sind, stellen eine absolute Seltenheit dar.

Übertriebene Haftungsängste seitens der Wegehalter sind auch insofern unbegründet, da es von der rechtlichen Beurteilung her einen Vorsatz oder eine grobe Fahrlässigkeit bräuchte, damit eine Haftung möglich wäre.

Um die Wegewarte und Wegewartinnen in ihrer für die alpine Infrastruktur wichtigen Arbeit bestmöglich zu unterstützen, werden von den Alpenvereinen regelmäßig Schulungen angeboten, bei denen sie mit den gängigen Sorgfaltsmaßstäben vertraut gemacht werden, sowie die technischen Grundlagen vermittelt bekommen, die sie in ihrer Arbeit benötigen.

Eine detailliertere Beurteilung und Sicherung von Wander- und Bergwegen, als dies bisher erfolgte, ist allgemein gesehen weder rechtlich noch fachlich notwendig und auch nicht zielführend, da das Wandern und Bergsteigen den Charakter einer selbstbestimmten Betätigung in alpiner Umgebung nicht verlieren soll!

Beurteilung von „Problemwegen“

Sogar wenn wahrscheinlich 99,9 Prozent der alpinen Wege auch in Zukunft ohne höheren Aufwand als bisher zu betreiben sein werden, gibt es wenige sogenannte „Problemwege“, bei denen aufgrund von gehäuften Ereignissen (z.B. Steinschlag, Blocksturz, Murstoß) erhöhter Handlungsbedarf besteht.

In der Vergangenheit wurden meist Geologen oder Geotechniker beauftragt, die Situation zu beurteilen und dann eine Stellungnahme in Form eines Gutachtens abzugeben.

Da eine prospektive (vorausschauende) Gefahrenbeurteilung von gravitativen Naturgefahren aber auch für ausgewiesene Experten mit einem vertretbaren Aufwand äußerst schwierig bzw. unmöglich ist, erging häufig die Empfehlung, einen Weg zu sperren oder die Gefahrenstelle durch technische Maßnahmen (z.B. Steinschlagnetze) zu sichern.

Während der große finanzielle Aufwand, den bauliche Maßnahmen nach sich ziehen, im Verkehrs- und Siedlungsbereich noch zu rechtfertigen ist, können diese Ausgaben für einen normalen Wander- oder Bergweg in der Regel nicht getätigt werden. Auch ein umfassendes messtechnisches Monitoring kann nur bei größeren Ereignissen (Fels- oder Bergstürze), wie beispielsweise am Hochvogel in den Allgäuer Alpen, angewandt werden.

Vorsorgliche Sperren aufgrund von Haftungsängsten und weniger aufgrund einer tatsächlichen Gefährdung sind wiederum unbefriedigend, da sie teilweise sehr schmerzliche Einschränkungen im alpinen Wegenetz bedeuten (v.a. wenn es um wichtige Übergänge oder Hüttenzustiege geht) und gleichzeitig insbesondere von den ortskundigen Wanderern und Bergsteigern ignoriert werden, was schließlich wieder zu Konflikten führen kann.

Damit die Verhältnismäßigkeit in den Maßnahmen und eine vergleichsweise einfache Anwendungsmöglichkeit gewährleistet bleiben, wurde von einer Expertengruppe² unter aktiver Einbindung zahlreicher Fachleute anstatt einer Gefahrenbeurteilung eine Risikobeurteilung für alpine Wege (R.A.G.N.A.R.) entwickelt.

Das Ziel von R.A.G.N.A.R. liegt darin, den Wegehaltern ein Werkzeug zur Risikobeurteilung zur Verfügung zu stellen, das praxistauglich, fachlich fundiert, gesellschaftlich anerkannt und rechtlich tragfähig ist.

Im Wesentlichen geht es also um die Erfassung, Beurteilung und Dokumentation der Risiken gravitativer Naturgefahren durch den Wegehalter und die Kommunikation dieser Risiken an die Bergwanderer, die diese Risiken dann im Zuge ihrer bergsportlichen Betätigung in Eigenverantwortung eingehen.

Anzuwenden ist diese Risikobeurteilung explizit nur bei Wegen, bei denen der Wegehalter konkrete Sicherheitsbedenken hat. Eine flächenhafte Anwendung ist definitiv weder angedacht noch zielführend und aufgrund des relativ hohen Aufwands auch nicht durchführbar!

Experten-Begehung im Rahmen einer R.A.G.N.A.R.-Beurteilung. Foto: Walter Würtl

Das Risikokonzept

Das Risikokonzept von R.A.G.N.A.R. (Abb. 1) stellt den fachlichen Hintergrund dar, der als Prozess in vier Schritten abgearbeitet wird:

  1. Schutzzieldefinition – Was darf passieren? Das Schutzziel legt fest, bis zu welcher Schadensgrenze Risiken zu akzeptieren sind und ob ein Schutzdefizit besteht.
  2. Risikoanalyse – Was kann passieren? Bei der Risikoanalyse werden bestehende Gefahren in ihrer Ausprägung und ihren Konsequenzen ermittelt. (Risikoidentifikation und Risikobewertung)
  3. Risikosteuerung – Was ist zu tun? Darin wird aufgezeigt, welche Maßnahmen und Mittel notwendig sind, um die Schutzziele zu erreichen. Klassische Maßnahmen betreffen die Bereiche Risikovermeidung, Risikoverringerung und Risikotransfer. Nach der Realisierung von Maßnahmen verbleiben Restrisiken, die in Eigenverantwortung von den Bergwanderern einzugehen sind. Eine vollständige Eliminierung des Risikos kann es im Zusammenhang mit Naturgefahren am Berg nicht geben!
  4. Kontrolle. Die Bereiche 1 bis 3 sind auch zukünftig bei einem „Problemweg“ zu überprüfen, ob sie noch zutreffend, richtig und wirksam sind!
Abb. 1: Risikokonzept In der Risikoanalyse wird abgeklärt, was passieren kann. Liegt das Risiko über dem Schutzziel, wird mit Maßnahmen versucht, dieses zu erreichen (Risikosteuerung).

 

Schutzzieldefinition

„Was darf passieren?“ oder „Wie sicher ist sicher genug?“

Schutzziele beschreiben das angestrebte Sicherheitsniveau. Mit Hilfe der Schutzziele wird erklärt, wofür Handlungsbedarf besteht. Bei einem Schutzdefizit wird geprüft, ob geeignete Maßnahmen das Risiko reduzieren können. In der Praxis dienen Schutzziele somit auch als Überprüfungskriterium zur Beurteilung des Handlungsbedarfs. Als Maßstab der Schutzziele auf Wander- und Bergwegen wird die Todesfallwahrscheinlichkeit verwendet. Im Detail wird berechnet, wie hoch die Todesfallwahrscheinlichkeit am beurteilten Weg pro Saison ist.

Grundsätzlich werden im Naturgefahrenmanagement drei Verantwortungsbereiche unterschieden. Während es für den institutionellen und den professionellen Verantwortungsbereich konkrete Schutzzielempfehlungen gibt, sind für den individuellen Verantwortungsbereich keine Schutzziele vorgesehen, da jeder Wanderer und Bergsteiger sein individuelles Risiko frei wählen kann. Grundsätzlich gilt: Je freiwilliger sich eine Person einem Risiko aussetzt, desto eher ist sie für sich selbst verantwortlich. Die Allgemeinheit muss dieses Risiko nicht mittragen!

  1. Institutionelle Verantwortung. Eine Institution (z.B. Bürgermeister, Straßenerhalter …) begrenzt das Risiko für die betroffenen Bürger. Zum institutionellen Verantwortungsbereich zählen z.B. Siedlungsraum, Autobahnen, Landes- und Gemeindestraßen, Eisenbahnlinien, Schiffverkehrsrouten, Flughäfen, Skipisten, Campingplätze oder Sportanlagen.
  2. Professionelle Verantwortung. Vom Risiko betroffene Personen übernehmen bewusst die Verantwortung, indem sie einen Beruf ausüben, der mit erhöhten Naturrisiken verbunden ist. Beispiele: Bergführer, Rettungsdienst, Straßenunterhalt, Forstdienst. Der Schutz der Arbeitnehmer ist dabei im Bereich der Arbeitssicherheit geregelt.
  3. Individuelle Verantwortung. Die vom Risiko Betroffenen können nichtdavon ausgehen, dass eine Institution das Risiko für sie begrenzt. Sie sind daher für ihren Schutz selbst verantwortlich. Beispiele: Wanderwege, Skitourenrouten, Kletterrouten. 

Obwohl also Wanderer, Bergsteiger und Kletterer nicht davon ausgehen können, dass jemand anderer das Naturgefahrenrisiko begrenzt, arbeitet man in R.A.G.N.A.R. mit Schutzzielen, um die Wegehalter bestmöglich zu unterstützen und um sich bei der Risikobeurteilung an gesellschaftlich akzeptierten Lebensbereichen zu orientieren. Konkret wurden die bestehenden Klassifikationen im Tiroler Wander- und Bergwegekonzept mit entsprechenden Schutzzielen versehen, die als Grenzwerte dienen. Da die Wegeklassifikationen zwar weder national noch international einheitlich, dennoch aber vergleichbar sind, ist eine Anwendung von R.A.G.N.A.R. auch über die Grenzen von Tirol hinaus sinnvoll und möglich.

In diesem Zusammenhang sei auch auf den nachteiligen Umstand verwiesen, dass nur die wenigsten Wanderer und Bergsteiger die Schwierigkeitsbewertung der Wander- und Bergwege kennen und so oft nicht darüber Bescheid wissen, welche Schwierigkeiten auf sie zukommen und welche Anforderungen bewältigt werden müssen.

Hier ist es wichtig, in Zukunft noch mehr Bewusstsein zu schaffen. Ein Beispiel einer solchen Initiative ist die „Alpine Safety Area“ im Tiroler Gschnitztal, in der man die Schwierigkeit der verschiedenen Bergwege wie auch von Klettersteigen ausprobieren und kennenlernen kann.

Steinschlag, eine „typische“ Gefahr?

Grundsätzlich wird Steinschlag als typische alpine Gefahr bezeichnet. Die Frage, welches Ausmaß an Steinschlaggefährdung nun als noch zu akzeptierende (typische) oder bereits als „atypische“ (und damit zu sichernde) Gefahr anzusehen ist, kann durch wahrscheinlichkeits- und unfallstatistische Analysen bewertet werden.

Auch wenn jeder einzelne Unfall tragisch ist und die Steinschlaggefahr vor allem in den zunehmend warmen Sommern oder ausgelöst durch andere Bergwanderer oder Wildwechsel nicht bagatellisiert werden darf, braucht die objektive Unfallgefahr durch Steinschlag im Lichte der alpinen Unfallzahlen in Österreich aber auch nicht dramatisiert werden.

Nach der Unfallstatistik des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit (analyse:berg Sommer 2019) ereigneten sich in Österreich im langjährigen Schnitt pro Jahr 100 tödliche Alpinunfälle beim Wandern und Bergsteigen. Davon sind nur 2 Prozent (zwei tödliche Unfälle pro Jahr) auf Steinschlag zurückzuführen.

Da zudem die Zahl der jährlich im langjährigen Mittel beim Wandern und Bergsteigen durch Steinschlag verletzten bzw. getöteten Personen mehr oder weniger konstant ist, kann auch keine Zunahme der Unfallzahlen durch Steinschlag festgestellt werden. Und das sogar vor dem Hintergrund steigender Besucherzahlen und einer sich verschärfenden naturräumlichen Situation.

Die vorhandene Steinschlaggefahr am Sajathöhenweg/Venedigergruppe ist nicht nur für Experten – im Foto bei einer Begehung – ahnbar … Foto: Walter Würtl

Alpinen Wegesystemen zugeordnete Schutzziele

Den alpinen Wegesystemen der Alpenvereine bzw. Alpinwegekonzepten in den Alpenländern lassen sich unterschiedliche Nutzergruppen entnehmen. Am Beispiel des Wander- und Bergwegekonzepts des Landes Tirol (Abb. 2) lassen sich konkret vier Nutzergruppen und entsprechend gewidmete Wege bestimmen.

Wanderwege

Wanderwege sind gewidmet für Spaziergeher. Diese …

  • haben in der Regel keine alpinen Kenntnisse und geringes alpines Gefahrenbewusstsein.
  • haben keine besonderen körperlichen Voraussetzungen.
  • haben keine spezifische Ausrüstung.
  • sind vielfach in hoher Anzahl vor Ort.

Die Umgebung von Wanderwegen muss objektiv gesehen relativ sicher sein – vergleichsweise dem Niveau von Skiabfahrten. Atypische Gefahren sind in der Regel auszuschließen und auch typische Gefahren (z.B. Steinschlag) sind nur in niedrigen Intensitäten zulässig. Das Restrisiko, welches vom Risikoeigner (Wegehalter) an den Benutzer „übertragen“ wird, ist hier am niedrigsten!

Risikokommunikation ist nur auf Grundniveau möglich, da der Nutzer nur eingeschränkte Möglichkeiten hat, die Informationen umzusetzen.

Aufgrund der geringen Selbstbestimmung gilt als Schutzziel ein gesamtes Todesfallrisiko von weniger als 1*10-5 (1 von 100.000) pro Jahr.

Rote (mittelschwierige) Bergwege

Rote Bergwege sind gewidmet für Bergwanderer. Diese …

  • sind geübt und trittsicher.
  • haben ein gewisses Maß an alpiner Eigenverantwortung.
  • haben körperliche Voraussetzungen und grundlegende sportmotorische Fähigkeiten.
  • haben passende Ausrüstung.
  • können mittelschwierige Passagen auf (roten) Bergwegen sicher bewältigen.
  • haben grundlegende Handlungskompetenzen (von der Planung bis zur Umsetzung).
  • haben grundsätzliche Kompetenzen im Erkennen von alpinen Gefahren, können diese weitgehend richtig interpretieren und angepasst handeln.

Auf roten Bergwegen sollte ein Schutz vor sehr komplexen und schwierig einzuschätzenden Risiken bestehen! Typische alpine Gefahren (z.B. Steinschlag, Murstoß) können vom Nutzer erkannt und gemeistert werden. Die Möglichkeit zur Risikokommunikation steigt mit dem vorhandenen Restrisiko. Einschlägige Warnhinweise können von Bergwanderern vollinhaltlich umgesetzt werden.

Aufgrund der großen Selbstbestimmung, die ein Bergwanderer hat, gilt als Schutzziel eingesamtes Todesfallrisiko von weniger als 1*10-4(1 von 10.000) pro Jahr.

Schwarze (schwierige) Bergwege

Schwarze Bergwege sind gewidmet für Bergsteiger. Diese …

  • sind alpin erfahren, schwindelfrei und trittsicher.
  • haben ein hohes Maß an alpiner Eigenverantwortung.
  • haben gute körperliche Voraussetzungen und gute sportmotorische Fähigkeiten.
  • haben passende Ausrüstung und sind technisch versiert.
  • können schwierige Passagen auf (schwarzen) Bergwegen sicher bewältigen.
  • haben weitreichende Handlungskompetenzen (von der Planung bis zur Umsetzung).
  • haben ausgeprägte Kompetenzen im Erkennen von alpinen Gefahren, können diese richtig interpretieren und angepasst handeln.

Auf schwarzen Bergwegen gibt es nur ein sehr niedriges Schutzziel! Das Restrisiko, welches vom Wegehalter an den Benutzer „übertragen“ wird, hat einen sehr hohen Wert. Alpine Gefahren können problemlos gemeistert werden. Ausgeprägte Risikokommunikation und differenzierte individuelle Beurteilung ist durch die Bergsteiger möglich.

Aufgrund der sehr großen Selbstbestimmung gilt als Schutzziel ein gesamtes Todesfallrisiko von weniger als 5*10-4 (5 von 10.000) pro Jahr

Alpine Routen

Bei der „schwierigsten“ Kategorie, den Alpinen Routen, gibt es kein Schutzziel und keine Wegehalterhaftung, da diese Routen weder markiert und beschildert noch gewartet werden müssen. Sie werden daher in R.A.G.N.A.R. nicht berücksichtigt.

Abb. 2: Wander- und Bergwegekonzept des Landes Tirol. Amt der Tiroler Landesregierung/Abteilung Sport (09/2019). Fotos: Christoph Höbenreich

Apropos Risiko …

Durchschnittliches Todesfallrisiko abhängig vom Alter (Deutschland 2010)
20-Jährige 50/100.000 → 510-4 40-Jährige 100/100.000 → 110-3 50-Jährige 500/100.000 → 510-2 65-Jährige 1.000/100.000 → 110-2 85-Jährige 10.000/100.000 → 1*10-1

Berufsrisiko
Forstarbeiter 100/100.000 → 110-3 Bauarbeiter 50/100.000 → 510-4 Büroarbeit 5/100.000 → 5*10-5

Freizeitrisiko
20 Zigaretten am Tag 500/100.000 → 510-2 1 Flasche Wein am Tag 300/100.000 → 310-2 1 Jahr hobbymäßig Drachenfliegen 100/100.000 → 110-3 10.000 km Autokilometer (EU) 7/100.000 → 710-5 10.000 km Busfahren (EU) 0,7/100.000 → 710-6 10.000 km Fliegen (EU) 0,35/100.000 → 3,510-6 10.000 km Zugfahren (EU) 0,35/100.000 → 3,5*10-6

R.A.G.N.A.R.-Schutzziel
auf Wanderweg 1/100.000 → 110-5 auf roten Bergwegen 10/100.000 → 110-4 auf schwarzen Bergwegen 50/100.000 → 5*10-4

Empfehlung
In der Schweiz liegt die Empfehlung zur akzeptablen Todesfallwahrscheinlichkeit infolge gravitativer Massenbewegungen bei 1*10-5.

Für den institutionellen Bereich liegt das Schutzziel laut ÖGG-Empfehlung (Österreichische Gesellschaft für Geomechanik) für gravitative Naturgefahren in Österreich bei 1*10-5.

Quellen:
ÖGG: Empfehlung für das Schutzziel bei gravitativen Naturgefahren in Österreich (2014) https://www.mortality.org
Schneider, Jörg: Sicherheit und Zuverlässigkeit im Bauwesen (1994)
Hess, Josef Th.: Schutzziele im Umgang mit Naturrisiken in der Schweiz (2011)

… und wird bei Regen und Nässe noch verstärkt. Die Frage ist nur, welches Schutzziel hier wie erreicht werden kann. Foto: Land Tirol

Risikoanalyse

Was kann passieren?

Die Risikoanalyse gliedert sich in die Bereiche der Risikoidentifikation und der Risikobewertung. Unterteilt wird sie in die Aspekte der Gefahrenanalyse, Expositionsanalyse und Konsequenzenanalyse: 

  • Gefahrenanalyse: Je nach Weg gilt es, auf Basis einer lokalen Expertise die Gefahren zu erkennen und zu beurteilen. Konkret ist festzustellen, welche (Natur-)Gefahrenprozesse wie häufig und in welchem Ausmaß auftreten.
  • Expositionsanalyse: Bei der Analyse des Personenrisikos ist ein wesentlicher Punkt die Präsenzwahrscheinlichkeit, d.h. wie lange sich eine Person im Gefahrenbereich aufhält. Hohe Expositionsdauer ergibt ein höheres Risiko, weil die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens steigt.
  • Konsequenzenanalyse: Die Konsequenzenanalyse zielt auf das Schadensausmaß ab. Konkret geht es um das Ausmaß von der leichten Verletzung bis zum Tod einer Person. Hohe Konsequenzen ergeben ein höheres Risiko, weil das Schadensausmaß steigt.

Die Risikoanalyse erfolgt in R.A.G.N.A.R. gesamthaft durch eine Einschätzung von lokalen Experten unter anderem durch eine Berechnung der Todesfallwahrscheinlichkeit. Dazu werden vor Ort für jede Gefahrenstelle am Weg die notwendigen Parameter Ereignishäufigkeit, Ereignisdauer, Expositionsdauer und Personenfrequenz erhoben. Liegt das errechnete Risiko für den Weg über den Schutzzielen, muss dieses durch Maßnahmen gesenkt werden. Gelingt dies nicht, ist ein Weg zu sperren.

Im Zuge der Risikoanalyse werden auch Ereignisse bzw. Erfahrungswerte aus der Vergangenheit berücksichtigt (Unfälle/Beinaheunfälle/Beobachtungen), wodurch die Plausibilität der berechneten Werte bzw. die Praxisrelevanz gewährleistet ist.

R.A.G.N.A.R. als Expertentool

R.A.G.N.A.R. kann ausschließlich unter tatkräftiger Mitarbeit von sogenannten „lokalen Experten“ durchgeführt werden. Das sind Personen, die aufgrund ihrer (praktischen und theoretischen) Fachkenntnis, ihrer langjährigen lokalen Erfahrung und ihrer engmaschigen Beobachtertätigkeit einen unmittelbaren und kompetenten Einblick in das Risikogeschehen haben.

Damit die Risikoanalyse in Praxis und Theorie auch richtig durchgeführt wird, gibt es eigene Schulungen bzw. Ausbildungstage für Anwender des Werkzeugs.

Risikosteuerung

Was ist zu tun? (Maßnahmenplanung und -umsetzung)

Die Resultate der Risikoanalyse und Risikobewertung bilden die Grundlage für die Maßnahmenplanung und Maßnahmenumsetzung. Ziel ist es, jene Maßnahmen oder Maßnahmenkombinationen zu finden, um das Schutzziel zu erreichen bzw. das Risiko unter Wahrung eines optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu senken.

Die Maßnahmen, die ein Wegehalter ergreifen kann, um mit dem vorhandenen Risiko adäquat umzugehen, sind vielfältig und umfassen:

  • Baulich-technische Schutzmaßnahmen. Als bauliche oder technische Maßnahmen kommen Beräumungen von Felswänden, Verbauungen oder Verlegungen eines Weges in Form einer Umgehungsstrecke in Frage.
  • Organisatorische Maßnahmen sind insbesondere spezifische Informationen, Warnungen oder Handlungsempfehlungen. Um Warnungen spezifisch bei der Gefahrenstelle vornehmen zu können, wurden eigene Hinweistafeln entwickelt, die auch naturschutzrechtlich bewilligt und in das Projekt „Bergwelt miteinander“ (https://www.bergwelt-miteinander.at) eingebettet sind (3).
  • Raumplanerische Maßnahmen. Ergibt die Risikobeurteilung ein Schutzdefizit und kann das Schutzziel nicht durch andere Maßnahmen erreicht werden, bleibt als Konsequenz eine temporäre oder permanente Wegsperre. Werden Wege permanent gesperrt, sollten diese konsequenterweise auch bis zu einem gewissen (vertretbaren) Grad rückgebaut und aus den Kartendarstellungen entfernt werden.
Abb. 3: Hinweistafeln „Bergwelt miteinander“ Um Wanderer und Bergsteiger vor Risiken spezifisch warnen zu können, wurden eigene Hinweistafeln entwickelt, die direkt bei der Gefahrenstelle angebracht werden.

Bauliche und organisatorische Maßnahmen, die der lokalen Situation entsprechen, sind insbesondere dazu geeignet, bei einem Schutzdefizit das Schutzziel zu erreichen! Nach gesetzten Maßnahmen verbleibt dennoch immer ein Restrisiko, das möglichst gut an die Wegenutzer zu kommunizieren ist. Bei baulichen Maßnahmen sollte berücksichtigt werden, dass nicht nur die Errichtung, sondern auch die Wartung in die Kosten-Nutzen-Rechnung einzubeziehen ist.

Insgesamt ist bei den Maßnahmen darauf Rücksicht zu nehmen, dass Einzelrisiken nicht überbewertet werden und die Verhältnismäßigkeit im Bezug zum Gesamtrisiko gewahrt bleibt. Das Risiko aufgrund von Naturgefahren (v.a. Steinschlag) liegt beim Wandern und Bergsteigen auf Basis der Alpinunfallstatistik bei nicht mehr als rund 2 Prozent und ist damit deutlich hinter dem Sturz-/Absturzrisiko sowie dem Risiko, einen Herz-Kreislauf-Notfall zu erleiden.

Kontrolle

Die Risikobeurteilung und die Maßnahmen müssen nachfolgend auch weiterhin überprüft werden. In allen Bereichen ist daher regelmäßig zu kontrollieren, ob sie noch zutreffend, aktuell, richtig und wirksam sind! Die Frequenz der Kontrolle orientiert sich an den üblichen Kontrollintervallen, muss jedoch vom Wegehalter mindestens einmal jährlich erfolgen.

Abb. 4: Vorgehensweise R.A.G.N.A.R.

Grenzen von R.A.G.N.A.R.

Eine Risikobewertung durch lokale Experten ist in Sachen Naturgefahren natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Bei Bedarf, z.B. bei unvorhergesehenen, spontanen Ereignissen größeren Ausmaßes, sollen zur Beurteilung der jeweiligen Naturgefahr gutachterlich tätige Fachleute (z.B. Geologen) hinzugezogen werden, deren Expertise sowohl in der Risikoanalyse als auch in der Maßnahmenplanung einzubeziehen ist.

Zusammenfassung

R.A.G.N.A.R. ist ein niederschwelliges und innovatives Werkzeug zur Beurteilung von gravitativen Naturgefahren im alpinen Raum. Es berücksichtigt den aktuellen Stand der Technik im Umgang mit Naturgefahren und basiert auf Empfehlungen und Grundlagen der einschlägigen Fachgesellschaften.

In R.A.G.N.A.R. werden die langjährigen Erfahrungen und Kenntnisse lokaler Experten vollumfänglich berücksichtigt.

Mit R.A.G.N.A.R. bekommen die Risikoeigner (Wegehalter) ein Werkzeug in die Hand, mit dem sie selbst aktiv das Naturgefahrenrisiko auf objektive Art und Weise beurteilen können. Aufgrund der Einbeziehung von empirischen Daten (z.B. Unfallberichte) wird die tatsächliche Gefahrenlage plausibel einbezogen und sichergestellt, dass eine Gefahr nicht unterschätzt wird.

R.A.G.N.A.R. ermöglicht die optimale Integration von bestehenden Gutachten und fachlichen Stellungnahmen von Experten.

Mit R.A.G.N.A.R. wird nicht nur das Risiko analysiert und bewertet, sondern es werden immer auch Maßnahmen vorgeschlagen, die situativ angepasst, angemessen und zweckmäßig sind.

Durch R.A.G.N.A.R. ist eine umfassende Argumentation und Dokumentation für den Wegehalter im Schadensfall gegeben, der weit über der rechtlichen Sorgfaltspflicht steht.■

Einst vergletscherte Übergänge, wie das Madatschjoch/Kaunergrat, werden zunehmend eisfrei und stellen eine potenzielle Steinschlaggefahr dar. Foto: Walter Würtl

PreCheck

Ist mein Weg ein Fall für R.A.G.N.A.R.?

Der R.A.G.N.A.R.-Online-Rechner stellt nur einen Teil einer vollständigen Analyse dar und kann diese niemals ersetzen. Er eignet sich aber, um das Risiko einzelner Gefahrenstellen abzuschätzen und erleichtert damit die Entscheidung, ob eine R.A.G.N.A.R.-Analyse angebracht ist oder nicht. Die Berechnung erfolgt durch Eingabe von fünf Parametern, welche in der Anwendung erläutert werden.

Nützlich ist der R.A.G.N.A.R.-Online-Rechner nicht nur für Wegehalter. Interessierten Wanderern und Bergsteigerinnen bietet er die Möglichkeit, sich mit den Anforderungen der verschiedenen Wegekategorien, und der damit verbundenen Eigenverantwortung auf interaktive Weise auseinanderzusetzen.

Den R.A.G.N.A.R.-Online-Rechner findet ihr auf www.bergwelt-miteinander.at/ragnar. Fotos: Höbenreich/Land Tirol

Zitate zu R.A.G.N.A.R.

„Im Sport-, Freizeit und Tourismusland Tirol sind Wander-, Berg- und Mountainbikewege für die Tiroler Bevölkerung wie auch für unsere Gäste unverzichtbar. Auch wenn sich die vielen Wegehalter dankenswerterweise mit der gebotenen Sorgfalt um bestmögliche Sicherheit auf Tirols Berg- und Wanderwegen kümmern, gibt es im hochalpinen Gelände immer ein gewisses Restrisiko. Deshalb sind ein gesundes Maß an Vernunft wie auch Erfahrung und Wissen gefragt, um bestmöglich beurteilen zu können, wann und wohin man am Berg aufbrechen kann. Das Steinschlagtool R.A.G.N.A.R. ist ein hervorragender Ansatz, um genau in diesem Spannungsfeld die richtigen Schlüsse zu ziehen, und stellt damit in der Zukunft eine wertvolle Entscheidungsgrundlage für Wegehalter dar. Im Rahmen meiner EUREGIO-Ratspräsidentschaft begrüße ich auch die Bemühungen, dieses Instrument grenzüberschreitend mit Südtirol und Trentino weiterzuentwickeln. Über das INTERREG Programm Italien-Österreich wird daher diese Arbeit durch Fit for Cooperation (Fit4Co) unterstützt.“ Günther Platter, Landeshauptmann Tirol

„Der Alpenverein (DAV und ÖAV gemeinsam) betreut in Österreich 40.000 Kilometer an Wander- und Bergwegen. Zum Glück nicht allzu oft, aber doch leider immer wieder, stehen ehrenamtliche Wegewarte vor der nicht klar zu beantwortenden Frage, ob Steinschlagereignisse noch als ‚typische alpine Gefahr‘ zu werten sind oder ob es ihnen als eine ‚auffällige Sorglosigkeit‘ ausgelegt werden könnte, wenn sie den Weg nicht durch eine Sperre aus der Widmung nehmen. In einer solchen Situation die Verantwortung an einen (Amts-)Sachverständigen zu delegieren, mündet natürlich oft und verständlicherweise in dauerhafte Wegsperrungen, allein weil der Gutachter einen viel höheren Haftungsmaßstab zu tragen hat. Der Ansatz von R.A.G.N.A.R., die Eigenverantwortlichkeit der Bergsteiger für ihr selbst gewähltes (Rest-)Risiko in den Mittelpunkt zu stellen und bewusst zu machen, erscheint mir als jedenfalls sehr wichtig. Gepaart mit begleitenden risikovermindernden Maßnahmen ist es mit diesem Tool möglich, bei ‚Bauchweh-Situationen‘ jedenfalls die notwendige Sorgfalt zu beweisen. In vielen Fällen ist der Wegehalter so nicht gezwungen, präventiv überbordende Sperren zu veranlassen, um rechtlich ‚auf der sicheren Seite‘ zu sein. Wir können und wollen unsere Bergwege nicht ‚besenrein‘ gestalten – müssen aber immer öfter auch ‚Hausverstandsentscheidungen‘ objektiv begründen. R.A.G.N.A.R. ermöglicht dies.“ Dr. Andreas Ermacora, Rechtsanwalt/Präsident des Österreichischen Alpenvereins

„Steinschlag ist per se eine sehr sensible Thematik für Tirol und scheint durch den Klimawandel an (Brisanz) Sprengkraft zuzulegen. Sie schlägt im Ernstfall leider allzu oft auch direkt auf dem Bürgermeistertisch auf. Mit R.A.G.N.A.R. wird den für den jeweiligen Berg- oder Wanderweg zuständigen Entscheidungsträgern eine wissenschaftlich fundierte Hilfe am schmalen Grat der Risikoabwägung geboten. Damit sollte es im Anlassfall gelingen, der gebotenen Sorgfaltspflicht durch eine strukturierte und konzertierte Vorgehensweise nachzukommen.“ Ernst Schöpf, Präsident des Tiroler Gemeindeverbandes, Bürgermeister Sölden

„Es kann nicht das gesellschaftliche Ziel sein, sämtliche potenziellen alpinen Gefahrenstellen und alpinistischen Risiken im Hochgebirge bautechnisch „wegzusichern“. Der alpine Raum soll durchaus auch als Wildnis- und Gefahrenraum in Eigenverantwortung erlebbar sein und bleiben. Sich in freier alpiner Natur zu bewähren, Gefahren abzuschätzen und „Risiko zu managen“ ist auch ein Wert, den es zu erhalten gilt. Das setzt natürlich je nach Art der Unternehmung mehr oder weniger Wissen, Können und Erfahrung voraus. Gerade die alpinen Infrastrukturen der Wander- und Bergwege sowie alpinen Routen erfordern mit abnehmendem Verkehrsbedürfnis des Weges sowie zunehmender Exposition, Ausgesetztheit und Abgeschiedenheit ein steigendes Maß an Eigenverantwortung und Kompetenz. Auf diesem Selbstverständnis aufbauend wurde R.A.G.N.A.R. entwickelt.“ Dr. Christoph Höbenreich, Land Tirol/Abt. Sport

 „R.A.G.N.A.R. trägt einerseits der Verantwortung der Wegehalter Rechnung, ohne andererseits zu verschweigen, dass die Bewegung in der Natur Gefahren mit sich bringt. Die Nutzer müssen immer selbst abwägen, ob sie sich dem nie zur Gänze beherrschbaren Risiko aussetzen wollen oder nicht. Auch ein professionellstes Vorgehen der Experten soll und kann ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen. Für die Folgen einer eigenen Fehleinschätzung haftet zunächst einmal jeder selbst.“ Dr. Andreas Stutter, Vizepräsident und Leiter der Medienstelle des Landesgerichtes Innsbruck

„Die Verunsicherung bei Wegehaltern nimmt spürbar zu. Mit dem Risikotool R.A.G.N.A.R. konnte in den vergangenen zwei Jahren in einer Kooperation von Land Tirol, ÖAV und LO.LA ein vielversprechender Ansatz gefunden werden. Das ‚akzeptierte Steinschlagrisiko‘ scheint dabei unter Wahrung der gebotenen Sorgfalt die goldene Mitte zu sein, um ‚Bauchwehwege‘ offen zu halten und größere Natureingriffe und Kosten zu vermeiden. Der Umgang mit Risiko im Zusammenhang mit der vielzitierten Eigenverantwortung will aber auch beim ‚User‘ von Bergwegen in Erinnerung gerufen und beherzigt werden. Wie bei allem eine Frage der Vernunft!“ DI Günther Zimmermann, Landschaftsdienst Land Tirol

„Bei gewissenhafter Anwendung des Risikotools R.A.G.N.A.R. wird professionell dokumentiert, dass man sich mit der gebotenen Sorgfalt mit dem Thema Gefahr und Risiko auf Wegen auseinandersetzt. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht und es kann ein Restrisiko im alpinen Gelände niemals ausgeschlossen werden. Inflationäre Wegsperren – die meist nicht eingehalten, schon gar nicht aber exekutiert werden können – wären im Sport-, Freizeit- und Tourismusland Tirol wohl keine Alternative. Bei gewissenhafter Anwendung und Einhaltung aller vorgeschlagenen Regelungen sollten sich – jedoch vorbehaltlich der Prüfung im Einzelfall – keine besonderen strafrechtlichen Probleme ergeben.“ Dr. Josef Rauch, Leiter der Staatsanwaltschaft Innsbruck

 „Im Bereich der Lechtaler Alpen verläuft über den AV-Stützpunkt Memmingerhütte der E5 Fernwanderweg durch das Zammer Loch nach Zams. Der Streckenabschnitt von der Unterlochalpe bis nach Zams ist teilweise erhöht steinschlaggefährdet. Bedingt durch die sehr hohen Begehungsfrequenzen in dem Bereich des E5 von zumindest 15.000 Bergwanderern pro Jahr, war es daher ein großes Anliegen der Gemeinde Zams, die Sicherheit für die Benutzer zu optimieren. Dies im Interesse und zum Wohle aller Wegbenützer. Wobei aber nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es sich um einen Streckenabschnitt handelt, der sämtlichen alpinen Gefahren unterliegt und von daher die Benutzer nicht von ihrer Eigenverantwortungs- und Selbstbestimmungsverpflichtung entbindet. Vor diesem Hintergrund schien dieser Streckenabschnitt des E5 für die Implementierung des Projektes R.A.G.N.A.R. prädestiniert. Es wurde unter Federführung der Vertreter des Amtes der Tiroler Landesregierung, Abt. Waldschutz, der Gemeinde Zams, Vertretern des Tourismusverbandes und der Grundeigentümer die Sachlage umfassend erörtert. Eine ortsansässige Expertengruppe wurde gebildet, welche aufgrund ihrer Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten eine Beurteilung bzw. Risikoanalyse durchführen kann. Damit ist eine zeitnahe und fachkundige Vorgehensweise gewährleistet. Aus Sicht der Gemeinde scheint R.A.G.N.A.R. ein geeignetes Instrument zur Risikobeurteilung zu sein.“ Mag. Siegmund Geiger, Bürgermeister Zams

„Hochalpine Wege und Steige sind schon derzeit häufig von Steinschlag- und Blocksturzereignissen betroffen. Sollte der Klimawandel tatsächlich wie prognostiziert fortschreiten, wird es in Zukunft wohl noch häufiger zu derartigen Ereignissen kommen. R.A.G.N.A.R. stellt aus Sicht der Landesgeologie ein geeignetes Werkzeug dar, um landesweit eine relativ einheitliche Abschätzung der vorliegenden Gefährdung durchführen zu können. Gut ausgebildete und geschulte Personen sollen künftig ein Werkzeug zur Verfügung gestellt bekommen, welches ihnen erlaubt, das Risiko für die Benützung eines hochalpinen Weges besser beurteilen zu können. Die Anforderung einer Geologin/eines Geologen wird dadurch zwar nicht obsolet, aber wohl doch deutlich seltener erforderlich sein.“ Mag. Thomas Figl, Land Tirol/Fachbereich Landesgeologie

„Der Permafrost löst sich auf, die Intensität der Regenmengen nimmt zu. Die Folge: Steinschlag. Davon sind auch alpine Wander- und Bergwege betroffen. Die Verantwortlichen für das Netz dieser Wege sind bei Risikoanalyse und Risikosteuerung besonders gefordert. Unterstützung bekommen sie jetzt von R.A.G.N.A.R. Es ist ein probates Instrument, das Wegehalter bei der Gefahrenbeurteilung unterstützt und das die Sicherheit aller erhöht, die am Berg unterwegs sind.“ HR Prof. Dr. Karl Gabl, Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit

Titelbild: „Gesperrt wegen Felssturzgefahr“, der Sajathöhenweg/Venedigergruppe war eines der ersten R.A.G.N.A.R-Projekte. Foto: Walter Würtl

¹ Ragnar ist ein altgermanischer Vorname und bedeutet so viel wie „Ratschluss der Götter“, „Entschluss des Schicksals“.

² R.A.G.N.A.R. wurde vom Land Tirol (auf Initiative der Abteilung Sport gemeinsam mit der Abteilung Waldschutz/Landschaftsdienst) und vom Österreichischen Alpenverein (Abteilung Hütten und Wege) mit fachlicher Unterstützung der Landesgeologie Tirol entwickelt. Begleitet bzw. umgesetzt wurde das Projekt von LO.LA Peak Solutions GmbH.

Erschienen in der
Ausgabe #110 (Frühling 20)

bergundsteigen #110 (Frühling 2020) Cover