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06. Nov 2023 - 8 min Lesezeit

Übertraining: Risiken, Folgen und Muster

Übertraining wird von vielen Bergsportlerinnen und Bergsportlern kaum beachtet – obwohl es sowohl Profis als auch Amateure betrifft. Wie man Übertraining erkennt, sich davor schützt und besser trainiert: ein Überblick von Uphill Athlete-Autor Matthew Carter.

Einfach ausgedrückt ist Übertraining ein paradoxer Leistungsabfall trotz fortgesetzten Trainings, der sehr verwirrend und frustrierend sein kann. Wenn man versteht, wie Übertraining entsteht und welche möglichen Fallen im Trainingsplan dazu führen können, kann man Übertraining vermeiden.

Was ist Übertraining?

Übertraining wird direkt durch chronische Überanstrengung und unzureichende Erholung verursacht, aber auch Psychologie, Ernährung und andere gesundheitliche Faktoren können dazu beitragen, das Gleichgewicht zwischen Anstrengung und Erholung zu verschieben. Zu den Hypothesen über die Mechanismen hinter dem OTS (Overtraining Syndrome) gehören die Glykogenhypothese (niedrige Glykogenwerte stehen im Zusammenhang mit Ermüdung), die zentrale Ermüdungshypothese (erklärt Stimmungsschwankungen) und die oxidative Stresshypothese (Muskelschäden durch übermäßigen oxidativen Stress). Leider beschreibt keine dieser Hypothesen alle Symptome von OTS vollständig. Dennoch erklären andere Theorien das Syndrom und können Aufschluss darüber geben, wie man sich von Übertraining erholen kann.

Trailläuferin Katharina Hartmuth
Ob beim Trailrunning, Bergsteigen, Skitourengehen oder Klettern: Übertraining kann sowohl Ausdauersportarten wie Kraftsportarten betreffen. Archivfoto: Katharina Hartmuth

Ausruhen und Essen – das sind die beiden wichtigsten Punkte, um sich von einem Übertraining zu erholen. Das klingt zunächst simpel, ist aber nicht immer leicht umzusetzen. Darüber hinaus wissen wir heute, dass zum Beispiel leichte Entspannungsübungen und passive Erholung zur Regeneration und Vorbeugung von Übertraining beitragen.

Nebenwirkungen von Übertraining

Klassische Begleiterscheinungen von Übertraining sind chronische Müdigkeit, Leistungsabfall (d. h. das maximale Lauftempo ist deutlich geringer als üblich), Gewichtsverlust oder Appetitlosigkeit, Muskelverspannungen, Stimmungsschwankungen und Depressionen. Es müssen jedoch nicht alle diese Symptome auftreten, um als übertrainiert zu gelten. Dennoch ist es wichtig, die Anzeichen zu kennen, um das Gefühl normaler Ermüdung nach einem harten Training vom Gefühl des Übertrainings unterscheiden zu können. 

Hauptsymptome des Übertrainings

  • Leistungsabfall: Das wichtigste Anzeichen für ein Übertraining bzw. das Übertrainingssyndrom (OTS) ist der paradoxe Leistungsabfall trotz fortgesetzten Trainings. 
  • Chronische Müdigkeit: Anhaltende und andauernde Müdigkeit kann ein weiterer wichtiger Indikator für Übertraining sein.

Sekundäre Symptome

  • Muskelverspannungen: anhaltende Muskelverspannungen und Schmerzen nach den Trainingseinheiten
  • Stimmungsschwankungen: unerklärliche Stimmungsschwankungen im Laufe des Tages
  • Appetitlosigkeit: Übertraining kann aufgrund von Störungen des autonomen Nervensystems, das den Hunger unterdrückt, eine Veränderung des Appetits verursachen

Ursachen

Übertraining ist ein äußerst komplexes Thema, das auch in der Wissenschaft noch nicht vollständig verstanden wird. Ein wissenschaftlicher Konsens über die Mechanismen des Übertrainings oder über die wichtigsten Hinweise zur Vorhersage eines möglichen Übertrainingssyndroms muss noch gefunden werden, denn auf physiologischer Ebene entziehen sich die Symptome des Übertrainings jeder Logik.

Während des Trainings werden die akuten Trainingseinheiten (Einzeltrainings) in „Blöcke“ eingeteilt, die wiederum in Phasen unterteilt werden. Diese Struktur entspricht der Theorie der Periodisierung, d.h. dem Prozess des schrittweisen und nachhaltigen Aufbaus zu einem bestimmten Ziel oder Fitnessniveau.

Bei der Periodisierung passen sich die Athletinnen und Athleten in der Regel gut an ihr Training an, da sie Zeit haben, die Trainingsbelastungen zu verarbeiten und vor dem nächsten Training Verbesserungen in Kraft, Ausdauer und Energie zu erzielen.

Dies wird als progressive Überlastung bezeichnet, weil man dem Körper einen ausreichenden Reiz gibt, an den er sich anpassen kann, und ihm dann Zeit zur Erholung gibt, bevor man mit der nächsten Belastung beginnt.

Progressive Überlastungen und Trainingsbelastungen können in drei Kategorien eingeteilt werden:

  • Functional Overreaching (FOR/ funktionelle Überlastung): Der Trainingsreiz ist ausreichend, um die sportlichen Fähigkeiten zu entwickeln, aber man ist auch in der Lage, sich rechtzeitig für das nächste Training zu erholen und sich weiter zu verbessern.
  • Non-Functional Overreaching (NFOR/ nicht-funktionelle Überlastung): Der Trainingsreiz reicht nicht aus, um die Person davon abzuhalten weiter zu trainieren. Dies hat zur Folge, dass man bis zum nächsten Training nicht ausreichend erholt ist, um optimale Trainingsfortschritte zu erzielen. 
  • Overtraining Syndrome (OTS/Übertrainingssyndrom): Nach einer wochen- oder monatelangen Phase des Trainings auf NFOR-Niveau hat die angestaute Ermüdung zu einem Übertraining geführt.

Zwischen optimaler Leistung und Übertraining liegt ein schmaler Grat, wie der marginale Unterschied zwischen FOR und NFOR zeigt. 

Matthew Carter
Übermäßiges Training ohne ausreichende Ruhepausen kann den Körper schädigen. Foto: Fred Marmsater/Uphill Athlete
Übermäßiges Training ohne ausreichende Ruhepausen kann den Körper schädigen. Foto: Fred Marmsater/Uphill Athlete

3 Personen, 3 Trainingsszenarien

Person A hat vor kurzem einen vierwöchigen intensiven Trainingsblock abgeschlossen. Die letzten Wochen hat die Person damit verbracht, sich zu regenerieren und sich Zeit zum Schlafen, Essen und für regenerative Übungen zu nehmen. Während der Woche hat sie nun leicht trainiert und sich am Freitag ausgeruht. Jetzt, am Samstag, wacht die Person nach acht Stunden Schaf auf, fühlt sich stark und frisch und sagt: 

  1. Am Wochenende werde ich hart klettern und die Belohnung für das harte Training genießen
  2. Ich werde mein leichtes Erholungstraining fortsetzen
  3. Ich werde mich ausruhen 

Antwort: 1. Zu diesem Zeitpunkt hat die Person die vorangegangene Trainingsbelastung gut verkraftet, fühlt sich stark und gesund. Gleichzeitig hat sie sich nach dem harten Training eine Erholungsphase eingelegt, um sich weiter zu verbessern. Das leichte Erholungstraining wäre wiederum ein zu geringer Anreiz gewesen, um die Leistung weiter zu verbessern. Mehr Training hätte jedoch zu einem Übertraining führen können, das die Erfolge des letzten Trainingsblocks zunichte gemacht hätte. 

Person B hat einen vierwöchiges intensives Trainingsprogramm abgeschlossen und sich in der letzten Woche stark angestrengt. Am Ende des Programms fühlt sie sich müde, aber stark. Deshalb beschließt Person B, in der Erholungswoche weiterzumachen. Nach einigen schlechten Nächten, hatte die Person am Freitag ständig Hunger – aber die Bauchmuskeln sahen noch nie besser aus. Person B hat daraufhin: 

  1. Am Wochenende hart klettern, obwohl sie sich müde fühle
  2. Leichtes Erholungstraining absolvieren
  3. Über das Wochenende ausruhen

Antwort: wahrscheinlich 3. Wenn sich Person B in der Erholungswoche gepusht hätte oder trotz seines Trainings bemerkenswert frisch gefühlt hätte, dann könnten wir vielleicht B wählen, aber er hat hart gearbeitet. Die Müdigkeit, die er zu Beginn der Erholungswoche verspürt hat, bedeutet, dass sich sein Körper regenerieren muss und an die Trainingseinheit fertig anpassen muss.  

Wenn sich die Person in der Erholungsphase durch ein erneut schweres Training weiter anstrengt, wird sie nicht schneller, stärker oder gesünder. Darüber hinaus deuten signifikante Veränderungen des Körpers (z. B. schneller Fettverlust) darauf hin, dass sich die Person in einem unhaltbaren Kaloriendefizit befindet und die Muskeln nicht genügend Energie erhalten, um sich zu erholen und zu verbessern. In diesem Zustand würde eine Fortsetzung des Trainings eine nicht funktionelle Überanstrengung (NFOR) darstellen. 

Übertraining ist ein äußerst komplexes Thema, das immer noch nicht vollständig verstanden umrissen wurde. Foto: Fred Marmsater/Uphill Athlete
Übertraining ist ein äußerst komplexes Thema, das immer noch nicht vollständig umrissen wurde. Foto: Fred Marmsater/Uphill Athlete

Person C hat vor kurzem ein achtwöchiges intensives Training an sechs bis sieben Tagen pro Woche absolviert. Sie fühlt sich erschöpft, ist aber entschlossen, weiter zu trainieren. Trotz des Trainings fühlt sich Person C langsamer, schwächer und gerät selbst bei leichten Aktivitäten schnell außer Atem. Nun ist Woche neun – in zwei Wochen steht eine große Trainingssteigerung an. Person C ist fest entschlossen, weiter hart zu trainieren und sich aus dem Tief herauszukämpfen. Person C sollte:  

  1. Hart klettern und sich weiter anstrengen
  2. Leichtes Erholungstraining absolvieren und hoffen, dass er in ein paar Tagen wieder auf die Beine kommt
  3. Vollständig ausruhen

Antwort: C. In diesem Fall gibt es keine Diskussion. Person C muss sich sofort vom Übertraining erholen und ausruhen, da sie bereits die klassischen Anzeichen eines Übertrainings zeigt (Leistungsabfall trotz Training). Wenn sie in diesem Umfang und mit dieser Intensität weiter trainiert, könnte sie sich irreparable Schäden zufügen. 

Die Antworten auf diese Szenarien scheinen relativ klar zu sein, aber psychologische Aspekte spielen beim Übertraining eine große Rolle. Vor allem alpine Ausdauersportler sind nicht selten hoch motiviert, sehr hart zu trainieren. Die Motivation entsteht oft aus dem Bedürfnis, in einem dynamischen Umfeld Höchstleistungen zu erbringen, aber auch aus der Leidenschaft für die Natur. Ohne einen Trainingsplan kann diese Motivation jedoch dazu führen, dass sich Bergsportlerinnen und Bergsportler jahrelang über ihre physiologischen Grenzen hinaus belasten.

Übertraining kann für jede Athletin und jeden Athleten zum Problem werden – gleichzeitig ist das Phänomen noch lange nicht in allen Facetten verstanden. Wer jedoch auf seinen Körper hört und sein Training richtig plant, kann Übertraining leicht vermeiden.

Häufig gestellte Fragen zum Übertraining

Wie sehen die Anzeichen eines Übertrainings aus?

Die ersten Anzeichen sind in der Regel chronische Müdigkeit und ein Leistungsabfall trotz fortgesetzten Trainings. Weitere Anzeichen können eine erhöhte Herzfrequenz, Stimmungsschwankungen oder eine Appetitlosigkeit über mehrere Tage oder Wochen sein.

Wie lange dauert die Regeneration nach einem Übertraining?

Die Erholungszeit hängt davon ab, A) wie stark man übertrainiert ist und B) wie viel Ruhe man zur Erholung braucht. Wenn jemand mäßig übertrainiert ist und sich mehrere Wochen vollständig ausruht, kann er sich vollständig erholen. Wenn jemand leicht übertrainiert ist, die Symptome aber ignoriert und sich weiter anstrengt, kann es Monate dauern. Je höher die Überlastung, desto länger dauert die Genesung. Vollständige Ruhe ist unerlässlich.

Wie viel Training ist zu viel?

Was als zu viel Training angesehen wird, ist von Person zu Person unterschiedlich und hängt sogar von der jeweiligen Aktivität ab. Viele professionelle Gewichtheber würden mehrere Läufe von 3 bis 5 Kilometern pro Woche als zu hohe aerobe Belastung ansehen, da sie sich nicht auf das Ausdauertraining konzentrieren. 

Eine gute Faustregel zur Bestimmung der Trainingsbelastung ist die zehn Prozent-Regel. Wenn Sie sich von Woche zu Woche verbessern, sollten Sie den Umfang oder die Intensität Ihres Trainings nicht um mehr als zehn Prozent steigern. So können Sie einen gesunden Trainingsfortschritt kontrollieren und Übertraining vermeiden. Bei einem professionellen Trainingsplan kann dies etwas anders aussehen, aber Sie werden immer die gleiche Tendenz zur progressiven Überlastung feststellen. 

Darüber hinaus werden durchschnittlich zwei Ruhetage pro Woche für Personen empfohlen, die verschiedene Systeme trainieren (d. h. aerobe Ausdauer, Kraft, Leistung usw.), was bei den meisten Kletterern und Bergsportlern der Fall ist.

Quelle: Der englische Originalartikel wurde auf uphillathlete.com veröffentlicht.