Welche Halbseile in Dreierseilschaft?
Zum Artikel „Welches Seil wofür?“ in Ausgabe #120.
Frage an Bergunsteigen von Florian Kulmer, ÖAV Sektion Anger:
Herzlichen Dank für die super Berichte zum Thema Material und zu den Seiltechniken. Das ist jedes Mal spannend zu lesen. Im bergundsteigen #120 wurden im Artikel „Einfach-, Zwillings- & Halbseile: Welches Seil wofür?“ die Empfehlungen der österreichischen Bergführerausbildung für das Führungswesen u. a. für das Nachsichern von zwei Personen im Fels (Dreierseilschaft) dargestellt: „Für das Nachsichern in der Dreierseilschaft wird die Verwendung von Einfachseilen für beide Nachsteiger empfohlen“ bzw. „Seile mit Dreifach-Zertifizierung“.
Die Verwendung von Halbseilen ist nur „in Ausnahmen möglich, keine Kanten, wenn Pendelgefahr unwahrscheinlich, Risikoabwägung Pro/Contra“. Zusätzlich wird erwähnt, dass laut Kenntnisstand des DAV- Sicherheitskreises „der Durchmesser zu den Seiltypen eine untergeordnete Rolle spielt.“ Also ein allgemeines NEIN für die Verwendung von Halbseilen in der Dreierseilschaft.
In unserer ÖAV-Sektion verwenden wir das Buch „Seiltechnik“ von Michael Larcher und Heinz Zak (ÖAV) als Lehrmeinung in den Kletterkursen sowie beim Tourenführen. Aktuell die 8. Auflage 2019 – meines Wissens nach die neueste Auflage (Anmerkung der Redaktion: Es gibt inzwischen die 9. überarbeitete Ausgabe, 2022). Auch persönlich wende ich großteils die darin dargestellten Methoden an. Dort heißt es im Kapitel „Sichern in Mehrseillängenrouten“, S. 90: „Eine Dreierseilschaft wird mit zwei Halbseilen (…) gebildet. Dadurch können beide Nachsteiger unabhängig klettern und optimal gesichert werden“ sowie im Kapitel „Seilkunde“, S. 153: „Halbseile Anwendung: Dreierseilschaft“.
Also ein unmissverständliches JA für die Verwendung von Halbseilen in der Dreierseilschaft (Anm. d. Redaktion: Auch in der neuen Auflage von „Seiltechnik“ wurden diese Aussagen nicht verändert und sind weiterhin gültig). Auch im ÖAV Booklet „Alpinklettern“, 2. Auflage 2022, wird dies thematisiert. So heißt es im Kapitel „Seiltechnik, Seilschaft – Organisation & Kommunikation“, S. 181: „Die Dreierseilschaft klettert mit zwei Halbseilen, keinesfalls mit Zwillingsseilen.
Dadurch können beide Nachsteigerinnen bzw. Nachsteiger unabhängig voneinander klettern und sind stets optimal gesichert.“ Allerdings wird im Kapitel „Ausrüstung – Dynamische Bergseile“, S. 55, Folgendes erwähnt: „Sind wir als Dreierseilschaft unterwegs, ist es nicht von Vorteil, extrem dünne Halbseile zu verwenden, da an jedem Strang eine Person hängt und diese nicht redundant über einen zweiten Strang gesichert ist. Deshalb greifen wir in diesem Fall zu robusteren Halbseilen mit Durchmessern ab 8,2 bis 8,5 Millimeter oder – noch besser – zu dreifach zertifizierten Einfachseilen, deren Durchmesser mittlerweile schon bei 8,5 Millimeter beginnen.“
Also ein JA für die Verwendung von dickeren Halbseilen in der Dreierseilschaft. Summa summarum ist es für mich nicht klar, ob eine Dreierseilschaft mit Halbseilen okay ist oder nicht? Was sollen wir nun nächstes Jahr im Kletterkurs lehren bzw. wie sollen wir bei geführten Touren sichern? Und kann/soll ich meine privaten 8.1-mm-Halbseile weiterhin in einer Dreierseilschaft verwenden?
Antwort Gerhard Mössmer, bergundsteigen:
Vielen Dank für dein Nachfragen. Die Sache mit den Halbseilen ist grundsätzlich völlig klar und unmissverständlich: Ja, die EN 892 erlaubt das Nachsichern von einer Person an einem Halbseilstrang! Dass Verbände zusätzliche Empfehlungen für ihre eigenen Kurse abgeben, ist dabei völlig legitim. So kann selbstverständlich der österreichische Bergführerverband vorgeben, dass bei seinen Ausbildungskursen nur dreifach zertifizierte Seile zum Nachsichern einer Person zum Einsatz kommen; im Artikel wird auch begründet, warum.
Wir vom Österreichischen Alpenverein verlangen hingegen bei unseren Kursen keine dreifach zertifizierten Seile (wenn jemand welche mitbringt, wird das zwar begrüßt, weil die Seile einfach viel universeller einsetzbar sind: eben als Einfach-, Halb- oder Zwillingsseile). In der Empfehlung, keine extrem dünnen Halbseile (zwischen 7,1 und 7,5 mm) für das Nachsichern einer Person zu verwenden, sondern stattdessen dafür zu robusteren Halbseilen mit einem Durchmesser zwischen 8,2 und 8,5 mm zu greifen (8,5 mm entspricht im Durchmesser den dünnsten dreifach zertifizierten Seilen, wobei auch die dynamische Dehnung mit ca. 30 % ziemlich ident ist), sehen wir keinen Widerspruch.
Letztlich ist es ja nicht nur die scharfe Kante (da spielt tatsächlich die Vorspannung – also das Gewicht, das unten dranhängt – eine größere Rolle als der Durchmesser; vgl. Artikel „Schnittfestigkeit von Seilen“), sondern sind es auch Faktoren wie Steinschlag, Beschädigung durch Eisgeräte etc. und letztendlich auch vor allem die psychologische Komponente, die uns für einen Nachsteiger zu einem robusteren Seil greifen lassen.